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Donnerstag, 23. Februar 2017

100 Hektar Politik: Über ein Gewerbegebiet zwischen Dülken und Hardt  

Mit dem Stichwort “Mackenstein-Erweiterung” verbinden viele Dülkener und Viersenerinnen die Kontroverse rund um “Reuter” und den Bebauungsplan “Mackenstein-Peschfeld”. Im vergangenen Jahr ging es im Viersener Stadtrat und bei der Bürgerinitiative Mackenstein-Hausen um rund 10 Hektar Versiegelung und um eine 25 Meter hohe Halle. “Reuter” zieht nach Bedburg. Doch unter dem Stichwort “Mackenstein” steht in diesem Jahr das “zehnfache Kaliber” auf der politischen Tagesordnung. Es geht um das im Regionalplan vorgesehene  “GIB-Z2 Mönchengladbach - Viersen”. Dahinter verbirgt sich ein zweckgebundener Bereich für gewerbliche und industrielle Nutzungen mit der Zielsetzung Nr. 2, d.h mit der  Ansiedlung “flächenintensiver Vorhaben” und “erheblich belästigender Gewerbebetriebe”. Vier solcher Z2- Gebiete sieht der neue Regionalplan vor: eins im Kreis Kleve, eins im Rhein-Kreis Neuss und zwei im Kreis Viersen. Neben dem ehemaligen RAF-Flughafen Elmpt geht es um 100 Hektar zwischen den Städten Viersen und Mönchengladbach oder konkreter: zwischen Dülken und Hardt südlich der Kreisstraße 8 (Hausen),  westlich der Landstraße 372 (Rheindahlener Straße/Hardter Landstraße) in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hausen, Bäumgeshof, Tillerhöfe, Schomm, Wey oder Piperlohof. 

Noch gibt es keine Investoren. Noch besteht das Gebiet aus Freiraum, Wald und Ackerfläche Noch haben Viersen und Mönchengladbach keine öffentlichen Pläne zu Branchenmix, Bauabschnitten oder Bürgerbeteiligung. Aber seit einigen Monaten regt sich Widerstand betroffener Bürgerinnen und Bürger. 

Einstimmigen Empfehlungen folgen oder Bedenken ernst nehmen? 

In den nächsten Wochen und Monaten geht es bei Aufstellung des neuen Regionalplans im Düsseldorfer Regionalrat auch um die politische Frage: “Folgen wir den einstimmigen Empfehlungen des Kreistags und des Stadtrats in Viersen und  öffnen den planungsrechtlichen Weg für das große interkommunale Gewerbegebiet “Mackenstein”? Oder nehmen wir die bereits vorgetragenen Bedenken und Einwände zu den möglichen Vermarktungschancen und Umweltauswirkungen so ernst, dass wir es erst gar nicht zu weiteren Planungen kommen lassen?” 

Denn “Mackenstein” spielte in den Vorbereitungen zum ersten Regionalplanentwurf noch keine Rolle. Schließlich sind aus dem alten Gebietsentwicklungsplan von 1999 noch wirtschaftliche Entwicklungsreserven rund um das bestehende Gewerbegebiet in der Größenordnung  von 35 Hektar möglich. Auch der Kreis Kleve bietet aus seinem bestehenden Gewerbeflächenpool noch 181 Hektar Spielraum für die Ansiedlung größerer Gewerbebetriebe. Dazu kommen jetzt neue großflächige Gewerbeplanungen rund um das Elmpter Flughafengelände. Etliche Hektar bestehender Landschaftsräume gehen ohnehin in den nächsten Jahren zugunsten der ökonomischen Entwicklung unumkehrbar verloren. Wenn der Viersener Wirtschaftsförderer Thomas Küppers “Flächen zu verkaufen und Umsätze zu erzielen als schönste Nebensache der Welt” bezeichnet, macht er sich dabei offenbar nicht allzu viele Gedanken um die Endlichkeit der Erde, um die kontinuierliche Beeinträchtigung landwirtschaftlicher Produktionsmöglichkeiten, um die nachteiligen Auswirkungen auf  Biotop-, Landschafts- und Natur- und Bodenschutz,  um die Verringerung der Erholungs-, Ruhe- und Frischluftbereiche oder den Beitrag, den ausufernde Siedlungs- und Gewerbestrukturen zum Klimawandel leisten. 

Neue Koalitionen zwischen Mönchengladbach und Viersen?

Vermutlich war “Mackenstein” Teil eines interkommunalen Gesprächspakets der beiden SPD-Bürgermeister.  Es umfasste wohl auch strittige Themenfelder wie Einzelhandel (“Minto”), Daseinsvorsorge (“NEW”), Verkehrsanbindung (“Helenabrunn”, “S28”), Krankenhausstrukturen (“AKH/Franziskus”). Nach jahrelanger “Funkstille” zwischen Mönchengladbach und Viersen zog offenbar das Argument der “regionalen Entwicklungschancen durch interkommunale Zusammenarbeit”. Die kommunale Wirtschaftslobby aus Viersen und Mönchengladbach schien selbst überrascht zu sein, ihre  damalige Maximalforderung nach  einer großen zusammenhängenden Gewerbefläche so schnell  im RPD-Entwurf verankern zu können.
Aber noch gibt es dafür kein tragfähiges Konzept, sondern lediglich Hoffnungen, die sich aus der A 61, der A 52, den vergangenen Wachstumsraten in der Logistikbranche, einer – immer noch möglichen -  Trasse für den “Eisernen Rhein” und internationalen Vermarktungserwartungen (“Metropolregion Rheinland”)  speisen. Im ursprünglichen RPD-Entwurf war noch von einem regionalen Gewerbe- und Industriekonzept die Rede, das in Abstimmung mit der  Bezirksregierung und den betroffenen Nachbarkommunen entwickelt werden sollte. Nach der Lektüre des zweiten RPD-Entwurfs begrüßt die Stadt Viersen, dass sie  die  Nachbarkommunen “im Vorfeld” nur noch über die mit Mönchengladbach abgestimmten Planungsziele informieren muss.

Ähnliche Argumente spielten bei der Konzeption des nicht weit von “Mackenstein” entfernten Gewerbegebiets VENETE eine Rolle. Was  als voll erschlossenes Vorzeigeobjekt in der deutsch-niederländischen Agrobusinessregion gedacht war,  liegt trotz vielfältiger Aktivitäten der Wirtschaftsförderer seit Jahren brach. Der  Logistik-Leerstand im bereits bestehenden Gewerbegebiet Dülken- Mackenstein, die Diskussion um Digitalisierung und Industrie 4.0, die noch unsicheren Perspektiven für  das benachbarte Elmpter Flughafengelände oder die Mönchengladbacher Konversionsflächen lassen Zweifel an den ökonomischen Realisierungschancen des interkommunalen Gewerbegebiets Mackenstein” aufkommen. 


Wachstum, Wettbewerb und Wirtschaftsfeinde

Denn nicht nur in Mönchengladbach oder im Kreis Viersen fordern Wirtschaftslobbyisten mit veralteten wachstums- und wettbewerbsideologischen Argumenten hektarweise neue Gewerbeflächen. Der Druck in fast allen Städten und Kreisen des Düsseldorfer Planungsbezirks ist immens. Wer sich für flächenschonenden Boden-, Landschafts- und Naturschutz stark macht, wird als “wirtschaftsfeindlich” diskriminiert.  Oder er unterliege halt Missverständnissen zu den Möglichkeiten der Brachflächennutzung, interpretiere Begriffe wie Flächenverbrauch und Flächennutzung falsch oder verwechsle Netto- und Bruttofläche. Bürgerinitiativen wie  “Kleine Höhe” in Wuppertal, “Rettet das Ittertal” in Solingen, Krefelder Hafenerweiterung in Meerbusch, “Gegenwind im Reichswald”, die A44 - “Gewerbemonster” in Willich/Osterath können ein Lied davon singen. Es wird wohl noch länger dauern, bis sich  IHK's und Wirtschaftsförderer im Rahmen ihrer "Politik der Flächenvorsorge" ernsthaft mit Fragen der Bodenökologie beschäftigen.

Böden, Buchen, Biotope

Im Beteiligungsverfahren zum neuen Regionalplan haben der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Naturschutzbund (NABU) mit einer gemeinsamen Stellungnahme vom 19.9.2016 die ökologische Sensibilität der Fläche zwischen Dülken und Hardt  hervorgehoben. Sie betonen, dass dem Gebiet eine wichtige Rolle im Landschafts-, Boden- und Wasserschutz zukomme und  verweisen auf dessen überschwemmungs-verhindernde Bedeutung bei Starkregen. 

Auch die Bezirksplaner weisen in der Begründung ausdrücklich auf den Wasserschutz hin: “Es gibt ein Problem mit dem Wasserschutz (WSZIII), das zu Nutzungseinschränkungen führen kann.”  BUND und NABU sorgen sich um die zusätzliche Lärmbelästigung und Luftverschmutzung, denen die Anwohner und Anwohnerinnen ausgesetzt werden.  

Die Naturschutzorganisationen listen mehrere Naturareale auf, die durch die Planungen gefährdet sind: ein 1,7 ha als Naturdenkmal geschützter 200 Jahre alter Haubuchenbestand, in dem Zwergfledermäuse leben, die historisch und für die Artenvielfalt bedeutsamen Flachskuhlen in unmittelbarer Viersener Nachbarschaft,  die Niederwaldbestände mit Resten einer alten Landwehr oder die wertvollen Ackerböden und Brutstätten für Kiebitze und Feldlerchen. Die Untere Landschaftsbehörde (ULB) in Mönchengladbach gibt zu Bedenken, dass im Bereich nördlich von Piperlohof trotz der dort vorhandenen Windenergieanlagen ein Schwerpunktgebiet von Kiebitzvorkommen auf dem Gebiet der Stadt Mönchengladbach liegt. Außerdem überlagere das vorgesehene Gewerbegebiet eine im  Bebauungsplan ausgewiesene, aber im Regionalplan noch nicht berücksichtigte, 24 ha umfassende Windkraftkonzentrationszone in Hardt.   Auch das an der Aufstellung des Regionalplans beteiligte Planungs- und Beratungsbüro Bosch und Partner verweist darauf, dass in einem weiteren Mackenstein-Planungsverfahren die  Belange der Wohnbevölkerung, die Biotope, die Verbundflächen, die klimarelevanten Böden, der Wasserschutz, die klimatischen und lufthygienischen Ausgleichsfunktionen und die unzerschnittenen Räume genau beschrieben und bewertet werden müssen. Denn  “Mackenstein” habe voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf diese Schutzgüter.  

Moderne Wirtschaftsförderung im Herzen Europas

Die bisher weitgehend ausgebliebene öffentliche Debatte um die “Mackenstein-Erweiterung” hinterlässt Unbehagen. Im Zeitalter von Digitalisierung und Artenschwund geht die Gleichung “Mehr Fläche –  mehr Wettbewerb - mehr Wachstum– mehr Wohlstand” offenbar nicht mehr auf. Industrie 4.0 braucht so etwas wie eine Wirtschaftsförderung 4.0. Wenn es stimmt, dass nach “Dampfmaschine”, “Elektrik” und “Computer” ein neues Industriezeitalter der digitalen Vernetzung von Mensch, Maschine, Anlagen, Produkten und Logistik bevorsteht und wenn es stimmt, dass Biodiversitätsverlust und Klimawandel zu den größten Bedrohungen der Menschheit gehören, dann wirkt eine Regionalplanung, die sich auf mehr Gewerbeflächen und mehr Transportwege für wachsende Gewerbeunternehmen fokussiert, seltsam antiquiert.

Das zwischen den ehemaligen Bürgermeistern vereinbarte “Mackenstein” erinnert unter dieser Perspektive an  angstbessenenes Bevorraten. Trotz großer Gewerbebrachen und vieler bereits planerisch abgesicherter Gewerbeflächen in der Region musste offenbar noch mehr für Mönchengladbach und Viersen her. “Sicher ist sicher und man weiß ja nicht, wie’s am Ende auskommt”. 

Mittlerweile haben die Stadtführungen in Mönchengladbach und Viersen gewechselt. Für den großkoalitionären Oberbürgermeister  Hans-Wilhelm Reiners (CDU) gäbe es Gelegenheit, sich gemeinsam mit seiner Viersener Kollegin Sabine Annemüller (SPD) von den “Mackenstein-Plänen” zu verabschieden und stattdessen eine interkommunale und im wahrsten Sinne grenzüberschreitende Wirtschaftsförderungsgesellschaft zu gründen, die sich erstmalig mitten im Herzen Europas um regionale Vernetzung, gesellschaftliche Kooperation, nachhaltige Entwicklung, Naturschutz, Gemeinwohlorientierung und kommunale Krisenresilienz kümmert...

 

 

 

 

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