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Mittwoch, 12. Juli 2023,  zuletzt aktualisiert am 15. August 2023

„Mer denke öm“: Über Grevenbroich, die nachhaltige Digitalisierung und die Hyperscale-Rechenzentren

Hyperscaler sind Rechenzentren, die gigantische Mengen an Rechenleistung und Datenspeichervolumen zur Verfügung stellen – für Soziale Medien, Streaming Suchmaschinen, für Content-Plattformen wie "you tube" oder "YouPorn" , für Finanzdienstleister, E-Commerce- oder Technologie-Unternehmen, für große Datenauswertungen zur Überwachung und Vermarktung…

Der Begriff klingt nach digitalem Aufbruch und verheißt unbegrenztes Wachstum. Bekannteste Betreiber sind die Alibaba-Cloud aus China, oder Amazon Web Services, Microsoft Azure oder die Google Cloud – alle aus den USA. Hyperscaler verbrauchen viel Fläche und Strom  und bieten wenig Arbeitsplätze, sollen aber die Ansiedlung neuer Unternehmen befeuern...

Zwei Hyperscale-Projekte in Grevenbroich

Derzeit arbeitet die Stadt Grevenbroich daran, ein Hyperscale-Rechenzentrum auf dem Gelände des sog. Bowa-Lagers von RWE-Power zu errichten. An der Buchholzer Straße sind drei Gebäude in Planung – zwei große mit Grundflächen von je 36.600 sowie ein kleineres von 27.600 Quadratmetern. Jedes Gebäude soll 34 Meter hoch werden und über eigene Büroräume verfügen.

Jetzt kommt auf Grevenbroich ein weiteres Hyperscaler-Projekt zu. Ein noch geheim gehaltener Investor hat sich Anfang 2023 mit administrativ Beteiligten darauf geeinigt, einen konkurrierenden Hyperscaler auf rund 23 Hektar Grevenbroicher Äckern an der Landstraße 361 am Rande des Industriegebiets Ost ("Am Gasthausbusch") zu errichten, wenn dort innerhalb von zwei Jahren ein Bebauungsplan rechtskräftig ist. Dies müsse allerdings auch für Bergheim und Bedburg gelten, denn bei diesem Hyperscaler handle es sich um ein Verbundprojekt mit mindestens drei Standorten.  Die Stadt Grevenbroich bereitet derzeit die Bebauungsplanung für das Rechenzentrum Am Gasthausbusch vor.

Welche Daten in dem Verbundprojekt wie verarbeitet werden sollen und können, ist öffentlich nicht bekannt. Jedenfalls sei das Gesamtprojekt gescheitert, wenn der Investor an einem der ins Visier genommenen Standorte kein Baurecht erhalte.

Die Bauhöhe betrage 10-40 Meter. Ein Konzept zum Umgang mit der Abwärme gäbe es (noch) nicht. Der Strombedarf betrage 150 MW.   Mit dem Bau solle möglichst 2025 begonnen werden.  Wahrscheinlich sei für die Notstromversorgung ein Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlich. Vor der Entscheidung für die landwirtschaftliche Fläche gab es eine offensichtlich an den Rahmenbedingungen gescheiterte Suche nach anderen Grevenbroicher Gewerbeflächen. Eine „lose Anfrage“ aber keine geeigneten Flächen gab es auch in Mönchengladbach.

In Bedburg ist für das Hyperscale-Verbundprojekt das  - bereits mit einem Bebauungsplan belegte -  Gewerbegebiet an der Autobahn 61 vorgesehen, in Bergheim das ursprünglich für das BoA-plus-Kraftwerk vorgesehene Areal am RWE-Kraftwerk Niederaußem. Dazu hat der Kölner Regionalrat am 9. Dezember 2022 mit der 36. Änderung des Regionalplans das schnellste Planfeststellungsverfahren aller Zeiten abgeschlossen, so zumindest die Wahrnehmung der SPD im Rhein-Erft-Kreis. (1) 

Die im Eigentum der RWE befindliche Fläche dient jetzt nicht mehr als Kraftwerksstandort, sondern „der Ansiedlung von Vorhaben für die Transformation der Industrie im Rheinischen Revier hin zu klimaschonenden Produktionsweisen.“ (2) Der Bergheimer Bebauungsplan soll bis Ende 2023 verabschiedet sein. Die beabsichtigte Unternehmensansiedlung gilt auch in zeitlicher Hinsicht als besonders dringlich.

© Bezirksregierung Düsseldorf

Der Düsseldorfer Regionalrat hat am 15. Juni 2023 den Aufstellungsbeschluss für die 16. Regionalplanänderung gefasst, um den 23 Hektar großen Hyperscale-Bau auf der Grenze zwischen „Stadtmitte“ und „Wevelinghoven“, zwischen dem 15 Hektar großen Lidl-Zentrallager und der TST-Logistik mit 7 Hektar zu ermöglichen (3).

In der Grevenbroicher Beschreibung geht es nicht um klimaschonende Produktionsweisen, sondern konkreter um ein „Rechenzentrum und untergeordnete Nebenanlagen“. Damit ist  - anders als in Bergheim - nach einem Scheitern des Projekts rechtlich keine andere Nutzung als durch ein Rechenzentrum möglich.

In Grevenbroich soll das zweite Hyperscaler-Projekt zu Lasten wertvoller Ackerböden und womöglich auch kleiner Waldflächen innerhalb eines Kaltlufteinwirkbereichs angesiedelt werden. Die Umweltauswirkungen seien aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich, schreibt Regionalplaner Jakob Micke in seiner Beurteilung.  Das werde jedoch in Kauf genommen, weil das Rechenzentrum von zentraler Bedeutung für die Transformation der Wirtschaft in NRW sei. Das hatte ihm der leitende Ministerialrat Andreas Machwirth  im Namen des NRW-Wirtschaftsministeriums am 22. Februar 2023 „ins Stammbuch geschrieben“. Denn eine zeitnahe Verfügbarkeit der Fläche erscheine geboten. (4)

Die Grevenbroicher Fläche Am Gasthausbusch zählt rechnerisch nicht zu den städtischen Gewerbeflächen, denn das Grevenbroicher Gewerbeflächenkontingent ist „ausgereizt“   Sie fällt auch nicht unter die im §  38 a des Landesplanungsgesetzes beschriebenen zusätzlichen Flächen für die Transformation der Industrie im Rheinischen Revier, sondern wird vom durch das Pinkwartsche Entfesselungspaket der schwarz-gelben Landesregierung regional entstandenen, aber  lokal noch nicht verorteten Gewerbeflächenbedarf abgezogen.  Aus einer Art planerischem Nowhere-Land wird so versiegelter und durch Sicherheitseinrichtungen unzugänglicher ehemaliger Grevenbroicher Ackerboden…

Hyperscaler – Schlüssel zum Erfolg des Strukturwandels?

Gerd Altmann auf pixabay

Diese Bodenwertsteigerung werde sich für alle lohnen, heißt es. Denn das Vorhaben werde einen wertvollen Beitrag zur Transformation der Industrie im Rheinischen Revier hin zu einer über die Grenzen der Region hinaus wirkenden Digitalregion leisten und einen erheblichen Anreiz zur Ansiedlung weiterer Unternehmen der Digitalwirtschaft und somit zur Steigerung der Wertschöpfung insgesamt liefern, verspricht die Kölner Regionalplanungsbehörde. (2)

Von diesem Vorhaben seien „unzweifelhaft vielfältige positive Effekte zur Gestaltung des Strukturwandels in Stadt, Kreis, Revier und Land zu erwarten. Der Hyperscaler setze Impulse für die regionale Digitalwirtschaft. Er sei die Grundlage für zukunftsweisende Technologien, Prozesse und Geschäftsmodelle. Die damit verbundenen Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte trügen zentral zum Gelingen des Strukturwandels im Rheinischen Revier bei. Das teilt der Neusser Landrat und Düsseldorfer Regionalratsvorsitzende Hans-Jürgen Petrauschke der Stadt Grevenbroich mit (4).

Kreisdirektor Dirk Brügge ist überzeugt:  „Hyperscaler sind Voraussetzung für Digitalparks mit vierstelligen Arbeitsplatzzahlen, von denen wir in unserer Region alle profitieren können“, (5) Brügge lebt und arbeitet in Grevenbroich, ist sowohl Mitautor der Studie zu den Dateninfrastrukturen im  Rheinischen Revier (6) als auch des WSP 1.1. (7), hat mit den Investoren verhandelt und als Geschäftsführer der Düsseldorfer Regionalratsfraktion das - für Außenstehende eher geheimnisvolle - Projekt vorangetrieben. 

Die Energieversorgung für die Hyperscaler sei sichergestellt, behauptet Brügge,  "nicht nur durch die bestehenden Kraftwerke, sondern auch durch Investitionen in neue Technologien zur Energieerzeugung." (40)  

Betreiber von Hyperscale-Rechenzentren gelten als führend in der Beschaffung erneuerbarer Energien, vor allem durch privat-abgesicherte PPAs (Power Purchase Agreements, also Langfristverträge) für Wind- und Solarenergie. 

„Anleitung, Leitfaden, Richtungsweiser, Bibel des Strukturwandels: Die Allegorien für das Wirtschafts- und Strukturprogramm (WSP) häufen sich. Ihre Aussage über den Kernzweck der Publikation ist die gleiche: Sie fasst alle grundlegenden Strategien und Ziele für einen gelingenden Strukturwandel im Rheinischen Revier zusammen und versammelt die miteinander in Einklang gebrachten Lösungen für bevorstehende Probleme.“ (7) So beschreibt die Zukunftsagentur Rheinisches Revier den Anspruch ihres WSP 1.1 (8).

Offen bleibt jedoch, wie und wo das dort beschriebene Handlungsfeld Dateninfrastruktur im Einklang mit den international vereinbarten Nachhaltigkeitszielen und deren Umsetzungsstrategien in Deutschland und NRW steht. Das sei wesentlich für alle Maßnahmen des WSP, vermerkt die NRW-Landesregierung in ihrem Genehmigungshinweis zum WSP 1.1.

Stattdessen finden sich im WSP Merksätze aus dem  - in den 1990er Jahren modernen - Wortbaukasten neoliberaler Deregulierung. Vom Hyperscale-Projekt gehe die Chance aus, das Rheinische Revier zu einer international führenden Digitalregion zu entwickeln. Dabei gelte es, die Standortvorteile des Rheinischen Reviers hervorzuheben und weiterzuentwickeln. Denn hier sei es problemlos möglich, kurzfristig Flächen bereitzustellen, die möglichst viele potenzielle Nutzer eines Hyperscale Rechenzentrums im Umkreis von 250 km erreichen.
Privatwirtschaftliche Investitionsprogramme und akzeptanzförderliche Beteiligungs- und Kommunikationsprozesse sowie schlanke Genehmigungsverfahren würden die Realisierung dieser Flächen beschleunigen. Erneuerbare Energien würden insbesondere durch den Anschluss des Rheinischen Reviers an Kapazitäten für Offshore-Strom bereitgestellt. (8 S. 147)

Im Zusammenhang mit den rheinischen Hyperscalern findet sich im WSP allerdings nichts zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, nichts zu den Auswirkungen auf Stadtklima, Energieinfrastruktur und Wasserhaushalt, nichts zur städtebaulichen Qualität, nichts zur Einbettung der Datenökonomie in ein Wirtschaftskonzept für das Rheinische Revier, nichts zu den rechtlichen Vorgaben für kritische Infrastrukturen oder zu Abwärmekonzepten für Rechenzentren, die im – noch nicht verabschiedeten – Energieeffizienz-Gesetz vorgeschrieben sind.

In der tatsächlich international führenden Digitalregion Frankfurt am Main sind die regionalen Entscheidungsträger einige Schritte weiter.  Der Frankfurter Magistrat hat beschlossen,  sein Gewerbeflächenentwicklungsprogramm zu aktualisieren und Flächen für den Rechenzentrumsneubau unter Aspekten der Klima- und Stadtverträglichkeit zu integrieren.  Die AG Rechenzentren der Stadt Frankfurt/M hat am 5. Juni 2023 einen Entwurf ihrer Leitlinien für den Bau und die Errichtung neuer Rechenzentren vorgelegt. (9)

Da geht es um Eignungsgebiete, funktionale Mischung, blaue Engel-Zertifizierung, Begrünung und Ressourceneffizienz. Die Leitlinien werden derzeit in der Digitalbranche zur Diskussion gestellt.

Warum werden in NRW die größeren Rechenzentren nicht als raumbedeutsam eingestuft und deren Ansiedlung regionalplanerisch gesteuert? Wo bleibt die regionale  Ausweisung von Eignungsgebieten möglichst in der Nachnutzung von Brachflächen?  Wo bleiben die regionalen Leitlinien, die der Rechenzentrumsbranche die Rahmenbedingungen für Ihre Bauten im Rheinischen Revier vorgeben?

GAIA X, Euclidia &  Co

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Wie soll denn im Rheinischen Revier mit den monopolartigen Machtpostionen der amerikanischen Digitalkonzerne Google, Apple, Meta,  Amazon und Microsoft umgegangen werden? Deren Vorstellungen von Wirtschaft und deren Umgang mit Daten zeige die „Grenzen der viel beschworenen transatlantischen Wertegemeinschaft“, schreibt Mischa Täubner in seiner ernüchternden Analyse des europäischen Wegs in die Digitalisierung (10). 

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags weist auf die unterschiedlichen Vorstellungen von Datenschutz (11) oder auf die komplexe Rechtslage beim Cloud Computing hin, wenn es um den Transfer personenbezogener Daten an eine/n Empfänger*in den USA geht (12).

Geht es in einem nachhaltigen Wirtschaftsökosystem um Kooperation, Kreislaufwirtschaft, Industriesymbiosen oder um Plattformökonomie, geht es auch um den Austausch und die Transparenz der Daten, die bisher unter „Betriebsgeheimnis“ fielen. Unternehmerisches Vertrauen wird wohl eine wichtige Rolle spielen. Darauf weist auch die Machbarkeitsstudie zu Dateninfrastrukturen im Rheinischen Revier hin. (6)

Mit einem bildlichen Vergleich veranschaulicht der Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart die Bedeutung einer europäischen Dateninfrastruktur: „Man stelle sich vor, man hätte im 19. Jahrhundert Eisenbahnschienen verlegt, damit amerikanische Eisenbahnunternehmen auf dieser Infrastruktur ihre Dienste anbieten. Zur Inanspruchnahme dieser Dienste machten diese Unternehmen aber die Vereinnahmung des Gepäcks zur Bedingung: Passagiere erhielten ihr Gepäck am Ende einer Fahrt nicht mehr zurück, sie könnten es nur noch während einer erneuten Fahrt im gleichen Zug nutzen. Dies beschreibt tatsächlich die heutige digitale Realität." (6 S. 3).


Die Machbarkeitsstudie zur Dateninfrastruktur im Rheinischen Revier setzt auf digitale Souveränität mit GAIA-X. Die deutsch-französische Gaia-X-Initiative war im Oktober 2019 vorgestellt worden (13). Ihr Ziel ist es, eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdigen Cloud-Dateninfrastruktur für Europa aufzubauen. Geplant war ursprünglich ein digitales Ökosystem, das sich durch Offenheit und Transparenz auszeichnete und Unternehmen eine Alternative zu den Cloud-Angeboten der US-Hyperscaler bieten sollte. Harald Summa (DE-CIX), Mitautor der Studie zum Rheinischen Revier, hat von Anfang an das Projekt Gaia X (14) (15) unterstützt.

Doch die Initiative ist bis heute nicht so recht aus den Startlöchern gekommen. Für negative Schlagzeilen sorgte Ende 2020 die Nachricht, dass sich offenbar auch der mit CIA-Mitteln finanzierte Anbieter von Überwachungssoftware Palantir dem Vorhaben angeschlossen habe. (16) 

Gaia-X versteht sich zwar als ein nach europäischen Standards ausgerichtetes Gemeinschaftsprojekt, Dennoch sind die US-amerikanischen und asiatischen Hyperscaler Google, Microsoft, Amazon, Palantir, Huawei und Alibaba in das Projekt einbezogen. Das sorgte dafür, dass mittlerweile einige europäische Cloud-Anbieter mit dem Projekt European Cloud Industrial Alliance, kurz Euclidia (17), einen eigenen Weg weitergehen.

Noch bleibe das Gaia-X-Konzept  mit seinem kooperativen dezentralen Datenraum – trotz einer insgesamt eher positiven Wahrnehmung ein Mysterium, fasst Martin Bayer, der stellvertretende Chefredakteur der Computerwoche (18), die Ergebnisse der von September 2022 bis November 2022 durchgeführten Unternehmensumfrage zur Akzeptanz von Gaia X  zusammen (19).

„Unideologisch und mit gesundem Menschenverstand“ umdenken

© Gerd Altmann auf pixabay

Mit der Industrialisierung geht die globale Zerstörung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen einher. Die Erde erhitzt und die Artenvielfalt geht verloren. Die Natur wird über ihre Regenerationskapazitäten hinaus in Anspruch genommen. Die soziale Spaltung wächst. Die gewaltigen Kollateralschäden des Wirtschaftens fließen kaum in die Unternehmensbilanzen ein. 

Unternehmen sind auf funktionierende Natur ebenso angewiesen wie auf gesunde Arbeitskräfte. Nicht-Nachhaltigkeit gehört zu den größten Gefahren der Weltwirtschaft.

SDGs, Pariser Klimaabkommen, Circular Economy Initiative, UN Global Compact, UNEP, Green New deal, ILO, UN-Frauenrechtskommission, Fair trade-Bewegung, Montrealer Artenschutzabkommen… Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen und gemeinnützige Organisationen auf der ganzen Welt initiieren und verabschieden Nachhaltigkeitsprogramme. Das Ziel "Treibhausgasneutralität bis 2045" ist hierzulande gesetzlich verankert.

„Global denken, lokal handeln“ – Mit diesem Satz prägte der schottische Geograph Patrick Geddes  (1854-1932) das Konzept der nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung. Der Satz hat sich spätestens seit der Rio-Konferenz 1992 zu einem Leitmotiv für Nachhaltigkeit entwickelt.  Er wird oft verwendet, um die Verbindung zwischen globalen Herausforderungen und den individuellen Möglichkeiten, verantwortlich (nicht) zu handeln, zu veranschaulichen. Der Satz soll die lokalen und regionalen Entscheidungsträger*innen in den Kommunen und Unternehmen daran erinnern, dass sie mit ihrem Tun und Lassen positive Beiträge „zur Rettung der Welt“ leisten können.

Der Standortwettbewerb um kommunale Nachhaltigkeit ist noch nicht besonders ausgeprägt. Es gibt zwar Pokale und Urkunden für Energieeffizienz, Klimaschutz oder Nachhaltigkeit. Kommunale Schlüsselzuweisungen sind jedoch kaum an Kriterien geknüpft, die die faktischen Nachhaltigkeitsleistungen eines Kreises, einer Stadt oder Gemeinde berücksichtigen. Klimaschutz gilt als freiwillige kommunale Aufgabe. 

Der kommunale Einfluss auf private Entscheidungen oder auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen hält sich in Grenzen. Dennoch haben Kommunalverwaltungen eine Vorbildfunktion vor allem in den Bereichen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung.  Der Kreis Viersen fordert daher „ein stringentes und zielorientiertes Handeln verschiedenster gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure“, denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit seien keine Selbstläufer. (20)

Grevenbroich, die Schlossstadt an der Erft gilt als lebensfroh,  ist mehr als 700 Jahre alt, beherbergt rund 62.000 Menschen auf 102 Quadratkilometern (39) und erhielt durch den Lokalreporter Horst Schlämmer (Hape Kerkeling) bundesweite Berühmtheit. Grevenbroich nannte sich bis vor kurzem "Bundeshauptstadt der Energie", denn sie ist ein Zentrum des Rheinischen Braunkohlenreviers und wird mit dem Kraftwerk Neurath bis in die 2030er Jahre zu den europäischen Spitzenreitern beim CO2-Ausstoß gehören. Der Rhein-Kreis-Neuss behauptet auf seiner Homepage bis heute: "Grevenbroich ist ein Energie-Standort mit Zukunft: 2,2 Milliarden Euro werden in das modernste Kraftwerk in Neurath investiert und zwei Blöcke des zurzeit effizientesten und klimaschonendsten Kraftwerktyps auf Basis Braunkohle gebaut."  (39)

Die Stadt Grevenbroich arbeitet derzeit an einem Klimaschutz-Konzept. Es geht um Strategien für Klimaneutralität und um die Vorbereitung auf die Klimafolgen. Noch ist nicht bekannt, welche Rolle der Grevenbroicher Strukturwandel, die geplante Ansiedlung der beiden Hyperscale-Rechenzentren oder der Erhalt der energieintensiven Arbeitsplätze z.B. in der Grevenbroicher Aluminiumindustrie im integrierten Grevenbroicher Klimaschutzkonzept spielen werden. Es soll bis September 2023 vorliegen und einen Maßnahmenkatalog in priorisierter Reihenfolge enthalten. Die ersten Maßnahmen sollen bereits bis März 2024 umgesetzt sein. (21)

Grevenbroich ist Teil der im Juni 2021 gegründeten Allianz für Klima und Nachhaltigkeit im Rhein-Kreis Neuss. Dahinter verbirgt sich eine kommunale Partnerschaft für Klimaschutz, Klimaanpassung und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. „Die Allianz soll dazu dienen, verstärkt vor Ort Verantwortung für den Schutz des Klimas zu übernehmen und eine nachhaltige Entwicklung im Geiste der Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) zu gestalten.“ (22).

Der Rhein-Kreis-Neuss wirbt mit seinen Internationalen Partnerschaften und seinem Engagement als erster Fair-trade-Kreis Deutschlands. Die Agenda 2030 und das Pariser Klimaschutzabkommen dienen dem Rhein-Kreis-Neuss nach eigener Aussage als Leitlinien zur Stärkung von Wirtschaft, Wohlstand und nachhaltiger Regionalentwicklung (23)

Die Allianz für Klima und Nachhaltigkeit im Rhein-Kreis Neuss lud am heißen Samstag, 13. August 2022 zum ersten Zukunftstag nach Korschenbroich ein. Etwa 100 Besucher*innen befassten sich mit Themen wie „Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft“ und den veränderten Ansprüchen an Lebensqualität. Motto des Zukunftstages „Mer denke öm“. (24)

Hans-Jürgen Petrauschke war auch beim Zukunftstag. Er ist unter anderem Landrat des Rhein-Kreises Neuss, Vorsitzender des Düsseldorfer Regionalrats, Aufsichtsrat bei der RWE Power AG, Verbandsrat im Erftverband, Vorstand im Landkreistag und Mitglied im CDU-Wirtschaftsrat. (25) Damit gehört er zu den Persönlichkeiten der Region, die in entscheidenden Funktionen „Nachhaltigkeit und Klimaschutz vor Ort“ umsetzen können. Seine Devise beim Zukunftstag: „Es gilt jetzt zur richtigen Zeit das Richtige zu tun. Wir sollten mit gesundem Menschenverstand an das Problem herangehen und nicht ideologisch.“ (26)

Der sog. „gesunde Menschenverstand“ basiert in der Regel auf logischem Denken und Vernunft. Bei der Lösung globaler Probleme ist es wichtig, klare und rationale Entscheidungen zu treffen. Der gesunde Menschenverstand ermöglicht es uns, Zusammenhänge zu erkennen, Probleme zu analysieren, Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu verstehen und angemessene Lösungsansätze zu entwickeln. Der gesunde Menschenverstand basiert oft auf praktischer Erfahrung und Wissen, das wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Diese Erfahrungen können uns dabei helfen, Situationen richtig einzuschätzen, mögliche Risiken und Konsequenzen zu erkennen und realistische Lösungswege zu identifizieren, verschiedene Perspektiven auf die Komplexität globaler und regionaler Zusammenhänge einzunehmen und pragmatisch auf die praktische Umsetzbarkeit von Lösungen mit den vorhandenen Kapazitäten und Ressourcen zu achten.

Unideologisch an die Frage „Wie nachhaltig sind zwei Hyperscaler in Grevenbroich?“ bedeutet auch,  sein eigenes Weltbild zu hinterfragen:

  • Welche Vor- und Nachteile hat die Wohlstandsförderung durch deregulierte und privatisierte Märkte?
  • Wer oder was ist die Digitalisierung, die alles beschleunigt und vorantreibt?
  • Was bedeutet Politik für Nachhaltigkeit und Klimaschutz? Was haben Menschheit und das Erdsystem davon, dass NRW erste klimaneutrale Industrieregion Europas wird?
  • Trägt Digitalisierung in allen Fällen zu Fortschritt, Effizienz und Wohlstand oder zu Arbeitsplatzabbau, Verlust der Privatsphäre, sozialer Isolation, Überwachung und Manipulation bei?
  • Was können Rechenzentren zur Nachhaltigkeit beitragen? Wie können sie das menschliche Wohlergehen und unsere belebte Mitwelt stärken?
  • Wie wichtig ist es dem Staat, der Gesellschaft und uns persönlich, unsere digitalen Angelegenheiten unabhängig, demokratisch und autonom zu gestalten?


Bits & Bäume im Rheinischen Revier: Vor die Welle kommen und am Gemeinwohl orientieren

© Kathleen Beermann auf pixabay

"Bits & Bäume“ oder der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen beschäftigen  sich seit Jahren mit derartigen Fragen einer nachhaltigen Digitalisierung.  Sie möchten eine Zukunft gestalten, in der der digitale Wandel eine positive Rolle einnimmt und Mensch, Lebensgrundlagen und Umwelt unterstützt und schützt, eine Zukunft, in der der digitale Wandel und die Transformation zur Nachhaltigkeit konstruktiv verzahnt werden. 

„Bits & Bäume“ wurde im Jahr 2018 ins Leben gerufen. Eine gleichnamige Konferenz fand mit über 2000 Teilnehmenden am 17.und 18. November 2018 in Berlin statt. Das umfangreiche Programm brachte Vertreter*innen der digitalen Welt mit  Aktivist*innen aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zusammen. Die Initiative entwickelte sich seitdem zu einer breiten wissenschaftlich unterstützten Bewegung, die sich für eine nachhaltige Digitalisierung einsetzt und Lösungsansätze erarbeitet. "Bits & Bäume" hat verschiedene Veranstaltungen, Workshops, Veröffentlichungen und Aktivitäten organisiert, um den Dialog und die Zusammenarbeit in diesem Bereich zu fördern. (27)

Der WBGU hat im Zusammenhang mit seinem 2019 erschienenen Hauptgutachten  „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ einige Politikpapiere dazu erstellt. (41)

Die zweite große „Bits & Bäume“ – Konferenz fand vom 30. September – 2. Oktober 2022 in Berlin statt. Aus diesem Anlass veröffentlichte „Bits & Bäume" mehr als 60 Forderungen in fünf Themenbereichen (28). Sie richten sich vor allem an die politischen Akteure und bilden auch eine Grundlage für die Digitalstrategie im Rheinischen Revier. Unter anderem besteht „Bits & Bäume“ auf folgendes:

  1. Digitalisierung muss sich an den Maßstäben von Natur-, Klima- und Ressourcenschutz und dem Erhalt von Biodiversität ausrichten. Digitale Infrastrukturen und elektronische Geräte müssen ohne Kompensation klimaneutral hergestellt und betrieben werden.
  2. Der digitale Wandel muss ein global gerechtes und nachhaltiges Wirtschaftssystem unterstützen. Handelsabkommen zu digitalen Gütern und Dienstleistungen sollten nationale Regelungen nicht behindern, die notwendig sind, um eine eigenständige Digitalwirtschaft vor Ort aufzubauen. Digitalisierung in der Landwirtschaft muss der globalen Ernährungssouveränität dienen und sich an Umweltzielen und den Bedürfnissen von kleinwirtschaftlichen Landwirt*innen orientieren. Kleinbäuer*innen müssen unabhängig von Plattform-, Saatgut- und Landmaschinenkonzernen agieren können.
  3. Digitale Monopole müssen kontrolliert und die digitale Welt muss demokratisiert werden. Geschäftsmodelle und staatliches Handeln, die auf detailliertem Tracking/Profilbildung oder anderweitig komplexen Verhaltensanalysen aufbauen, sollen verboten werden. Möglichkeiten für demokratische Steuerung und Teilhabe sowie gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle müssen gefördert werden. Öffentliche Daten und öffentlich finanzierte digitale Güter sind als Gemeingüter zu verstehen.
  4. Soziale und ökologische Gerechtigkeit sowie langfristiger Frieden sind grundlegende Ziele des digitalen Wandels. Digitale Technikgestaltung, Bildung und Arbeit sollten so ausgerichtet werden, dass sie den sozialen Zusammenhalt stärken. Eine internationale Konvention soll den Verzicht auf digitale Waffen festschreiben.
  5. Digitale Infrastrukturen müssen angemessen geschützt und gewartet werden, denn eine nachhaltige Demokratie benötigt zuverlässige, sichere und vertrauenswürdige Infrastrukturen. Die Ausgestaltung der Digitalisierung von Infrastrukturen (etwa bei der Energiewende) sollte die Verwundbarkeit der gesamten digitalen Infrastruktur durch technische Ausfälle, digitale Angriffe etc. berücksichtigen. (28)

Anlässlich der Berliner Konferenz und einer nordrhein-westfälischen „Bits& Bäume“-Tagung am 16./17. Juni 2023 in Münster (29) haben Wissenschaftler*innen der TU Berlin die Schrift „Shaping digital transformation for a sustainable society“ herausgegeben. 65 Autor*innen befassen sich mit aktuellen digitalpolitischen Entwicklungen, mit drängenden Herausforderungen wie dem Ressourcenverbrauch, den Auswirkungen auf die die demokratische Steuerung digitaler Infrastrukturen. Themen sind KI, Blockchains, mobile Apps und andere Softwareanwendungen sowie die nicht nachhaltigen Praktiken und Paradigmen der Plattform-Wirtschaft. Präsentiert werden praxisnahe Ansätze und Konzepte rund um den notwendigen Wandel. (30)

„Mer denke öm“: Das Motto  gilt auch für den Abschlussbericht „Digital Reset“ (31). „D4S“ (32) (Digitalization for Sustainability), ein von der TU Berlin initiiertes und hochkarätig besetztes europaweites Projekt (33), präsentierte ihn auf dem November-Kongress „Bits & Bäume.

„Mer denke öm“ – das Motto könnte auch  für die Nachhaltigkeitsabwägungen bei der  Erstellung der Bebauungspläne für die Hyperscaler im Rheinischen Revier oder bei zukünftigen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung  gelten: "Global denken - lokal handeln." 

„Der fortschreitende Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt, die zunehmende soziale Polarisierung und die Aushöhlung der Demokratie erfordern rasches und entschlossenes Handeln. Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die Digitalisierung in ihrer jetzigen und gängigen Form diese Krisen noch verschärft und dass inkrementelle Veränderungen nicht ausreichen, um diese Situation zu beheben. So fördert Digitalisierung beispielsweise die Polarisierung von Einkommen und Vermögen, da sie die Kluft zwischen einem wachsenden Anteil des Gesamteinkommens aus Kapital und einem schrumpfenden Anteil aus Löhnen und Gehältern vergrößert. Gleichzeitig bringt die Digitalisierung zusätzliche Belastungen mit sich, denn der ökologische Fußabdruck digitaler Geräte und des neuen digitalen Konsums ist beträchtlich, während die Effizienzsteigerung durch den Einsatz digitaler Technologien geringer als erhofft ausfällt. Alles in allem optimiert die derzeitige Digitalisierung den nicht-nachhaltigen Status quo, anstatt ihn zu verändern. Daher bedarf es eines „digitalen Resets“: einer einer grundlegenden Neuausrichtung des Zwecks der digitalen Technologien auf tiefgreifende Nachhaltigkeitstransformationen.“ (34)

Politik müsse den Einfluss der globalen digitalen Player auf Technologiegestaltung und Geschäftsmodelle zurückdrängen und nicht am Gewinn, sondern am Gemeinwohl orientierten Organisationsformen die Marktteilnahme ermöglichen und Datenmonopole zugunsten eines Datenzugangs für alle eingeschränkt werden.

Politik und Gesellschaft müssten überlegen, was der Einsatz digitaler Technologien erreichen soll und entsprechende Regulierungen formulieren. Förderungswürdig wären zum Beispiel IT-Technologien und -Projekte, die ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer und globaler Gerechtigkeit dienen.

IT-Systeme sollten auf Effizienz, lange Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Rezyklierbarkeit und Quelloffenheit ausgerichtet sein. Auch seien Suffizienzüberlegungen nötig, um eine unsinnige „Überdigitalisierung“ zulasten der Umwelt zu vermeiden. An die Stelle des Mottos „Alles digitalisieren“ müsse eine sinnvolle wechselseitige Ergänzung analoger Vorgehensweisen und digitaler Technologien treten.  D4S weist auf die Widersprüche zwischen dem „EU-Green New Deal“ und „Fit for digital age“, dem Digitalisierungsplan  der EU hin. Während das eine Programm die europäische Wirtschaft nachhaltig machen will, strebt das andere vor allem Wachstum und Konkurrenzfähigkeit an. Das stelle jedoch die sozialökologische Nachhaltigkeitstransformation in Frage. 

Der Bericht liefert einen Leitfaden, wie Digitalisierung neu gedacht werden kann, damit sie in erster Linie zu einer klimaneutralen Gesellschaft, die Artenvielfalt schützt und den Ressourcenverbrauch reduziert, und zu einer widerstandsfähigen Wirtschaft beiträgt, während sie gleichzeitig soziale Gerechtigkeit fördert und die Rechte und Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern uneingeschränkt respektiert.

Zur Orientierung erläutert der Bericht sieben Leitprinzipien: Regeneratives Design, Systeminnovationen, Suffizienz, Zirkularität. Souveränität, Resilienz und Gerechtigkeit und stellt 10 Leitsterne für einen digitalen Reset auf:

  1. Eine klare Vision für digitale Technologien ist unerlässlich, um soziale und ökologische Herausforderungen erfolgreich anzugehen.
  2. Der Zweck der Digitalisierung muss den Zielen einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft untergeordnet werden.
  3. Ein aufgabenorientierter Ansatz für digitale Innovationen ermöglicht es Regierungen, die Zukunft proaktiv zu gestalten.
  4. Vorausschauende und agile Governance-Institutionen ermöglichen ein Primat der Politik über digitale Innovationen.
  5. Die Gewährleistung eines demokratischen Prozesses bei der Gestaltung von Technologien bringt unternehmerische und gesellschaftliche Ziele besser in Einklang.
  6. Ein sparsamer Umgang mit digitalen Technologien hält den ökologischen Fußabdruck digitaler Technologien in Grenzen.
  7. Um die größten Nachhaltigkeits-Potentiale aus digitalen Technologien herauszuholen, müssen sie im Sinne der Suffizienz und der Kreislaufwirtschaft eingesetzt werden.
  8. Die Geschäftsmodelle der „Big Tech“-Unternehmen müssen sich grundständig ändern und mit den Zielen einer sozial-ökologischen Transformation in Einklang gebracht werden.
  9. Eine aktive Governance zur gemeinsamen Nutzung von Daten durch alle Beteiligten ist ein wichtiger Schlüssel zur Freisetzung des Potenzials digitaler Technologien.
  10. Es ist an der Zeit. (34)

Die Digitalsphäre ist partiell noch immer ein rechtsfreier Raum. Eine Regulierung hinkt den Entwicklungen um Jahre hinterher. Die Politik muss „vor die Welle“ kommen und die Rahmenbedingungen der Digitalisierung förderlich für die sozialökologische Transformation gestalten.

Digitalisierung kann Chancen für die Nachhaltigkeitstransformation eröffnen, aber auch das nicht nachhaltige Wirtschaften verstetigen. Neue Machtallianzen können den Übergang zur Nachhaltigkeit gefährden oder beschleunigen.

Der Nachhaltigkeitsvermerk im WSP fordert dazu auf, auch bei der Digitalisierungsstrategie für das Rheinische Revier umzudenken und sich von lieb gewordenen Ideologien zur zukünftigen Wirtschaft zu verabschieden. Es ist an der Zeit, neue Kollateralschäden zu minimieren und die alten zu reparieren.

Hitzewellen und Kaltluftströme

Quelle: Klimaatlas NRW - Bioklimakarte 1991 - 2010

Das Baugebiet für den zweiten Grevenbroicher Hyperscaler liegt in einem sog. Kaltluftvolumenstrom. Das Rechenzentrum könnte daher die Lage in den bereits hitzebelasteten Grevenbroicher Bereichen verschlechtern. Daher wird die Grevenbroicher Stadtverwaltung die mit dem Hyperscaler verbundenen Gebäude so planen müssen, dass der kalte Luftstrom durchlässig bleibt. Dazu werden wahrscheinlich mikroklimatische Untersuchungen erforderlich sein.

Das Niederrheinische Tiefland ist nordrhein-westfälischer Spitzenreiter bei den Maximaltemperaturen. In den letzten 110 Jahren ist hier die durchschnittliche Lufttemperatur um 1,6 Grad Celsius gestiegen. Sie wird – lt. Berechnungen des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz - in Zukunft auch mit ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen weiter ansteigen. (35)

Damit bleibt der Niederrhein auch in Zukunft im Zusammenhang mit der Wärmebelastung die NRW-Region mit einer überdurchschnittlichen Erkrankungs- und Todesfallrate. (Bild Bioklimakarte 1981-2010).

Mit dem Klimawandel gibt es mehr Starkregen, höhere Temperaturen, mehr Verdunstung.  Die Grundwasserneubildung geht zurück. Die Grundwasserspiegel sinken. In den Sommern steigt der Wasserverbrauch. Immer häufiger wird es daher zu Wasserrationierungen kommen müssen.

Die langfristige Jahresdurchschnittstemperatur in NRW beträgt 10 Grad Celsius, am Niederrhein 10,9 Grad Celsius (35) . Die bisher wärmsten Jahre in der Planungsregion Düsseldorf waren 2020 und 2022. Die Jahresdurchschnittstemperatur betrug jeweils 12,0 Grad Celsius. Grevenbroich liegt darüber. Hier wurden 2020 und 2022 12,1 und 12,2 Grad Celsius Jahresdurchschnittstemperatur gemessen. (36)

Das hat etwas zu tun mit dem atlantisch-maritimen Klimabereich der Kölner Bucht und der Lufterwärmung durch die Grevenbroicher Kohlekraftwerke. Die werden mit Erftwasser gekühlt und sorgen für niedrige Wasserstände und warmes Wasser.

Ende der 1950er Jahre wurde das Erft-Bett vergrößert, um das abgepumpte Grundwasser der Braunkohletagebaue aufzunehmen. Doch seit Ende der 1980er Jahre werden diese Wasser in den Bereich des Naturparks Maas-Schwalm-Nette geleitet, um dortige Auswirkungen des Tagebaus auf die Feuchtgebiete und die Trinkwasserversorgung zu lindern.

Anders als im benachbarten Regierungsbezirk Köln fehlt im Planungsraum Düsseldorf der bereits mehrfach angekündigte Fachbeitrag Klima des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz. Er bildet eine Grundlage für die Regionalplanung. Denn er liefert wichtige Hinweise zu besonderen Belastungs- und Erholungsräumen, zu Kaltluftentstehungsgebieten und -leitbahnen.

Damit hätte die Regionalplanung fundierte Kriterien für den Schutz von Kaltluftgebieten vor Bebauung und Luftverschmutzung an der Hand.
Für den Regierungsbezirk Köln hatte das LANUV bereits 2018 1,3 Millionen Menschen identifiziert, die von besonderen Hitzebelastungen betroffen sind.

Der damalige LANUV-Präsident Dr. Thomas Delschen erläuterte: „Hitzeinseln bilden sich, wenn sich warme Luft in den Innenstädten staut. Durch einen verringerten Luftaustausch und die Wärmeabstrahlung durch Gebäude, Straßen, Verkehr oder Industrie kann dabei ein Temperaturunterschied von bis zu 10 Grad Celsius zum Umland entstehen. Deshalb lautet eine unserer Empfehlungen für die Regionalplanung, dass Kaltluftleitbahnen, die kühlere Luft aus den äußeren Bereichen in die Innenstädte transportieren können, geschützt werden.“ (37)

Rechenzentren haben Auswirkungen aufs Stadtklima, haben einen sehr hohen Strombedarf,  erzeugen viel Abwärme, verbrauchen Wasser, sind sicherheitsrelevant und beeinflussen als großvolumige Monolithen die städtebauliche Qualität. Sie brauchen daher Energieeffizienz, erneuerbaren Strom und Konzepte zur Abwärmenutzung…

Zwischen dem 14. Juli und dem 14. August 2023 nahm die Düsseldorfer Bezirksregierung Anmerkungen, Einwendungen und Anregungen zur Hyperscaler-Fläche entgegen.  (38). 

Am 14. Dezember 2023 soll der Düsseldorfer Regionalrat darüber entscheiden und die 16. Änderung des Regionalplans feststellen. Das wird bei der Landesplanungsbehörde angezeigt. Wenn innerhalb einer Frist von zwei Monaten keine Einwendungen erhoben werden, wird die Änderung des Regionalplans auf Veranlassung der Landesplanungsbehörde im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen bekannt gemacht. Dann wird die Regionalplanänderung wirksam.

Planungsverfahren sind Verwaltungsverfahren. Es geht bei dieser Öffentlichkeitsbeteiligung um Auswirkungen der Raumwidmung für ein zweites Grevenbroicher Rechenzentrum auf der Grenze zwischen der Innenstadt und Wevelinghoven. Es geht um die Frage, wie Menschen, Pflanzen, Tiere, Boden, Wasser, Klima, Luft, Kultur und andere Sachgüter von dieser Planung betroffen sind.

Politische Grundentscheidungen für eine Digitalisierung nach Nachhaltigkeitskriterien werden anderenorts gefällt, könnten jedoch derartige  Planungen „vor Ort“ erleichtern...

Verweise

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37. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen. Hitzeinseln in der Innenstadt - Klimawandel auch im Regierungsbezirk Köln immer deutlicher spürbar. [Online] 28. September 2018. https://www.lanuv.nrw.de/landesamt/veroeffentlichungen/verbraucherwarnungen/details/428-hitzeinseln-in-der-innenstadt-klimawandel-auch-im-regierungsbezirk-koeln-immer-deutlicher-spuerbar

38. Bezirksregierung Düsseldorf. Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf Nr. 26. [Online] 29. Juni 2023. https://www.brd.nrw.de/system/files/media/document/2023-06/Amtsblatt_2023_Nr_26.pdf

39. Rhein-Kreis Neuss: Stadt Grevenbroich [Online] - abgerufen am 12. Juli 2023
https://www.rhein-kreis-neuss.de/de/verwaltung-politik/kreisportrait/kommunen/grevenbroich/

40. Frank Kirschstein: Hyperscaler als neuer Motor für die Wirtschaft. Neuß-Grevenbroicher-Zeitung vom 5. August 2023

41. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Unsere gemeinsame digitale Zukunft. [Online] https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/kernaussagen-des-gutachtens-unsere-gemeinsame-digitale-zukunft


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