Donnerstag, 8. Februar 2018
"Ankermieter": Über eine mögliche Nebenwirkung des Kempener "Burgtheaters"
Kommunales Gebäudemanagement ist mehr als simple Kosten-Nutzen-Rechnung. Dies wurde bei der als historisch bezeichneten Kempener Ratssitzung am 6. Februar deutlich. Es ging um zwei Verwaltungschefs und eine Burg. Der eine wollte sie nicht mehr behalten. Der andere wollte sie nicht alleine übernehmen. Und beiden ging es vornehmlich um Aufwand und Ertrag. Doch am Ende siegten Gefühl und Herz und der Wille, mit Mut und neuen Ideen die Kempener Burg aus ihrem Dornröschenschlaf wach zu küssen. Sie soll nach dem Auszug des Kreisarchivs in den Jahren 2021 bis 2023 für ca.10 Millionen Euro saniert werden. Was genau aus ihr wird, ist noch ebenso offen wie die Finanzierung. Aber eins steht nach dem Ratsbeschluss fest: die Stadt Kempen will 34 Jahre nach dem Wegzug der Kreisverwaltung weitere städtische Autonomie gewinnen und das berühmte Heft des Handelns in eigenen Händen halten.
Vor 18 Jahren - als die Kreis-VHS im Rahmen der VHS-Fusion ihre Geschäftsstelle in der Burg aufgab - schwärmte der damalige Bürgermeister Karl Hensel von Hotelplänen und möglichen Investoren. Heute widerspricht er seinem Amtsnachfolger und stellt in einem offenen Brief an die Kempener Ratsfraktionen den Wert der Burg für den Zusammenhalt des Kempener Gemeinwesens in den Vordergrund. Jetzt spielen private Investoren bei der Kempener Burgübernahme allenfalls eine Unterstützerrolle: „Bürgerburg statt Tecklenburg“. Das niederrheinische Bauunternehmen (Motto “Wir schaffen Zukunft“) galt als einer der potenziellen Investoren im Falle einer Burg-Privatisierung. Branchenkenner blieben aber bis zuletzt skeptisch, ob ein privater Investor ernsthaftes Interesse daran hat, das Kempener Wahrzeichen in allen seinen Funktionen - einschließlich seiner Rolle beim Martinsfeuerwerk oder beim weihnachtlichen Turmblasen – zu erhalten und kommerziell zu nutzen.
Udo Kadagies (Freie Wähler) oder Joachim Straeten (Grüne) sprachen aus, wovon wohl die meisten Befürworter einer städtischen Burg-Übernahme ausgehen: „Auf das Versprechen des Landrats, die VHS als Ankermieter des ersten Stocks zu etablieren, ist Verlass“.
Das aber wirft neue Fragen zu den räumlichen Voraussetzungen der kommunalen Pflichtaufgabe Volkshochschule auf. Der Kreis Viersen ist per Landesgesetz verpflichtet, für Schwalmtal, Niederkrüchten, Brüggen und Grefrath eine Volkshochschule zu betreiben, es sei denn, die Gemeinden finden im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit eine eigene Organisationsform. Kempen, Nettetal, Tönisvorst und Willich haben ihre traditionelle Aufgabenübertragung auf die VHS Kempen-Krefeld auch nach der kommunalen Neugliederung und dem Mitte der 1970er Jahre in NRW in Kraft getretenen Weiterbildungsgesetz aufrecht erhalten. Die Stadt Viersen hat ihre eigene VHS im Jahre 2001 aufgelöst und sie in die Kreisvolkshochschule integriert.
Im Haushaltsentwurf des Kreises Viersen für das Jahr 2018 heißt es zu den VHS-Räumen knapp: „Neben den von den Gemeinden unentgeltlich zur Verfügung gestellten Unterrichtsräumen werden zusätzliche Räume kostenpflichtig angemietet; der Anteil der anzumietenden Unterrichtsräume ist in der Vergangenheit gestiegen.“
Der VHS-Ansatz „Mieten und Pachten“ beträgt mittlerweile 133.000 Euro, für die Umlage der kreiseigenen Gebäudekosten kommen noch 136.867 Euro dazu. Der Umlage-Anteil für VHS-Räumlichkeiten liegt damit schon jetzt bei überdurchschnittlichen 0,90 € pro Einwohner. Die benachbarte VHS im Kreis Heinsberg kommt mit 0,14 € pro Einwohner aus. Im Kreis Viersen gesellen sich die Kosten dazu, die den jeweiligen Kommunen für die vorwiegend abendliche Öffnung der Schulgebäude und Veranstaltungsstätten für VHS-Zwecke entstehen. Bei einer weiteren Erhöhung der Mietumlagen sind daher auch in anderen Kommunen Überlegungen zu einer eigenständigen VHS, wie sie im April 2017 bei der Viersener SPD entstanden sind, nicht mehr ausgeschlossen.
Andere Kreisvolkshochschulen in NRW mieten nur in Ausnahmefällen private Räumlichkeiten an und zahlen stattdessen den kreisangehörigen Kommunen eine Entschädigung für die Nutzung schulischer Räume durch die VHS. Mit einem „Ankermieter VHS in der städtischen Burg Kempen“ besteht jetzt auch im Kreis Viersen die Chance, sich vom Prinzip „Unentgeltlichkeit“ zu lösen und eine neue Verrechnung der VHS-Raumkosten innerhalb der kommunalen Familie zu entwickeln. Damit könnten die kommunalen Gebäudemanager Landesmittel aus den Schulbauprogrammen multifunktional verplanen und der VHS neue Möglichkeiten gut zugänglicher und lernanregender Räume auch außerhalb Kempens oder Viersens eröffnen.
Eigentum verpflichtet. Das gilt im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht nur für die Kempener Burg, sondern auch für diejenigen kommunalen Gebäude, die nicht mehrere Jahrhunderte Geschichte in sich bergen, aber über Räumlichkeiten verfügen, die sich auch für die offene Erwachsenenbildung eignen. Was mit einer VHS passiert, wenn deren Unterrichtsräume vernachlässigt werden, ist derzeit in Mülheim zu beobachten. Nachdem im September 2017 das zentrale VHS-Gebäude aus Brandschutzgründen geschlossen wurde, hat die dortige VHS zum 1. Semester 2018 ihr Programmangebot halbiert.