Suchen
08.03.2024
„Gesunde Frau von Welt oder kranker Mann Europas?“ Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltige Wachstumschancenpolitik
Der heutige Weltfrauentag bietet auch Gelegenheit, über globalen Wohlstand, rechtsextreme Politikerinnen oder über das große und komplexe Ganze nachzudenken - jenseits der deutschen Flucht ins Klein-Klein eines Wachstumschancengesetzes in neuer Deutschlandgeschwindigkeit.
In ärmeren Ländern haben viele Mädchen nicht die Chance, zur Schule zu gehen, weil sie im Haushalt helfen müssen. Viele Frauen können kein eigenes Geld verdienen, keinen eigenen Plänen nachgehen, weil sie kochen, Wasser holen, Feuerholz sammeln, Kranke pflegen oder sich um die Kinder kümmern. „Würde man diese Arbeit mit dem Mindestlohn bezahlen… läge der Gegenwert bei jährlich elf Billionen US-Dollar im Jahr – 24-mal mehr als Apple, Google und Facebook in dieser Zeit zusammen verdienen.“ (1)
Noch immer herrschen in vielen Ländern der Welt patriarchale Rollenbilder vor, die für Frauen und Mädchen den Großteil der Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit vorsehen. Auch in Deutschland ist der sog. Gender Care Gap noch nicht überwunden.
Die Erderhitzung verschärft diese Situation. „Durch die verheerenden Dürren wie in Ostafrika müssen Frauen und Mädchen dort täglich weite Strecken laufen, um Wasser zu holen. Andernorts haben Überschwemmungen ganze Landstriche und große landwirtschaftliche Flächen vernichtet. Die Versorgung der Familie wird für die Frauen dadurch noch schwieriger, noch zeitaufwendiger.“ (1)
Frauen sind von der Erderwärmung besonders betroffen. Darauf macht „UN Women Deutschland“ auf ihrer Homepage aufmerksam. (2) Frauen sind unter den Armen überrepräsentiert, in hohem Maße von natürlichen Ressourcen abhängig und oft von umweltpolitischen Entscheidungen ausgeschlossen.
Vor allem im sog. globalen Süden gibt es deutliche Unterschiede dabei, wie Frauen und Männer die Auswirkungen des Klimawandels erfahren. „Frauen und Kinder sterben bei einer Katastrophe mit 14-mal höherer Wahrscheinlichkeit als Männer; unter anderem, weil sie später gewarnt werden, seltener schwimmen können und sich auf der Flucht um Angehörige kümmern.“ (2) Auf der Flucht vor klimabedingten Katastrophen besteht für Frauen ein erhöhtes Risiko für körperliche und sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitution und Ausbeutung. Nach UN-Prognosen werden bis 2030 aufgrund der Erderhitzung voraussichtlich 236 Millionen mehr Frauen und Mädchen hungern. (3)
Niedrigere Einkommen, weniger Rücklagen und ein schlechterer Zugang zu Krediten führen dazu, dass Frauen und Mädchen nach Krisen länger und stärker leiden. Sie können Einbußen und wirtschaftliche Schäden schlechter verkraften. Daraus folgert „UN Women Deutschland: „Ohne Geschlechtergerechtigkeit kann es keine Klimagerechtigkeit geben.[…] Bei allen Klimaschutzmaßnahmen muss die Genderperspektive mitgedacht werden und alle Maßnahmen müssen zu Geschlechtergerechtigkeit beitragen.“ (2)
Zahlreiche Kriege und Konflikte bedrohen die internationalen Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern. Darauf macht heute die UN-Frauenorganisation aufmerksam. (3). „Vom Nahen Osten bis nach Haiti, Sudan, Myanmar, der Ukraine, Afghanistan und anderswo zahlen Frauen den höchsten Preis für Konflikte, die nicht von ihnen verursacht wurden. Das Bedürfnis nach Frieden war noch nie so dringend.“ (3) Die Zahl der Frauen und Mädchen, die in Konfliktgebieten leben, habe sich seit 2017 verdoppelt. Mittlerweile leben nach UN- Angaben mehr als 614 Millionen Frauen und Mädchen in Konfliktgebieten. Dort sei die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in extremer Armut leben, 7,7-mal höher.
Frauen mit Macht und Einfluss sind allerdings keine Garanten für eine an Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit orientierte Politik. Das Phänomen der wütenden weißen Frau sei beeindruckend und beunruhigend, meint die Schriftstellerin Eva Lapido und verweist unter anderem auf Alice Weidel, Giorgia Meloni, Riikkka Pura, Marine Le Pen, Isabel Diaz Ayuso, Nikki Haley. Die weiblichen Karrierechancen in rechtsextremen Parteien sind gut, denn sie „lassen das eigentlich Unsagbare normal lebensnah und harmloser erscheinen. Sie machen den Rechtextremismus gewissermaßen salonfähig […] Rechte Politikerinnen berufen sich gern auf ihre Rolle als Mutter, um Ressentiments und Ängste gegen Fremde zu schüren. […] Wenn es darum geht, die Migration zu bremsen, warnen Populistinnen vor der vermeintlichen Frauen und Schwulenfeindlichkeit fremder Kulturen […] So gesehen besitzen rechte Politikerinnen größere Bein- und Bewegungsfreiheit als ihre männlichen Kollegen. Sie geraten weniger schnell in Verruf und können sich Widersprüche leisten. […] Je widersprüchlicher ihre Positionen, desto menschlicher und wählbarer wirken sie.“ (4)
Zum Weltfrauentag bilanziert daher die Journalistin Düzen Tekkal: „Die Trennlinien verlaufen nicht zwischen Herkunft, sondern entlang der gemeinsamen Werte und der Menschlichkeit!.“ (5)
Eine Politik, die in Frieden und Bildung investiert, die faire Löhne und einen guten Sozialstaat in den Mittelpunkt stellt, die einen anderen Blick auf Diplomatie und marginalisierte Gruppen wirft, die sorgt für Geschlechtergerechtigkeit. Wenn ein Land umso besser aufgestellt ist, je mehr Mittel und Chancen es Frauen zur Verfügung stellt… könnte sich auch Deutschland mit feministischer Politik vom kranken Mann Europas zu einer gesunden Frau von Welt transformieren?
Verweise
1. Svenja Napp. Vorwärts geht es nur, wenn Frauen sich entfalten können. Oxfam Deutschland. [Online] 1. November 2023. https://www.oxfam.de/blog/frauen-im-fokus-vorwaerts
2. UN Women Deutschland. Klima und Gender. [Online] [Zitat vom: 8. März 2024.] https://unwomen.de/klima-und-gender/
3. UN Women. 1 in every 10 women in the world lives in extreme poverty. [Online] 8. März 2024. https://www.unwomen.org/en/news-stories/press-release/2024/03/1-in-every-10-women-in-the-world-lives-in-extreme-poverty
4. Eva Lapido. Trumps Schwestern im Geist triumphieren. FAZ. 8. März 2024.
5. Düzen Tekkal. DIE WELT. 8. März 2024.
Grenzlandgruen - 20:05 @ Allgemein, Umwelt und Gesundheit | Kommentar hinzufügen
Archiv
2024: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November |
2023: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2022: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2021: | Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember |
2020: | Oktober | November | Dezember |
Kategorien
- alle
- Allgemein
- Europa
- Region
- Kreis Viersen
- Schwalmtal
- Akteure und Konzepte
- Umwelt und Gesundheit
- Wirtschaft und Finanzen
- Raumplanung und Regionalentwicklung
- Kultur und Bildung
- Infrastrukturen und Daseinsvorsorge
- Strukturwandel im Rheinischen Revier
- Meckereien und Gemopper
- Grenzlandgrünschnitt
- Bündelmüll
- Medienhinweise
Kommentar hinzufügen
Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.