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13.10.2021
Aufbruch in die Klimaneutralität - Abrissmoratorium für Lützerath
Am 31. Oktober beginnt in Glasgow die 26. UN-Klimakonferenz. Derzeit läuft die UN-Konferenz zum Artenschutz und in Berlin wird zwischen SPD, Grünen und FDP sondiert, mit welchen Maßnahmen eine neue Bundesregierung das Klimaschutzgesetz umsetzen könnte. Begleitet wurden die Gespräche in den letzten fünf Tagen mit Studien und Appellen. Auf mehr als 1000 Seiten erklingt der Ruf nach marktorientierten Förderprogrammen. Es geht um Planungssicherheit und politische Absicherung von Investitionen im Rahmen des Projekts „Klimaneutralität bis 2045“. Den kürzesten und naheliegendsten Eilappell hat gestern Greenpeace auf den Weg gebracht.
69 namhafte deutsche Unternehmen der „Stiftung 2 Grad“ (1) forderten am 11. Oktober 2021 von einer neuen Bundesregierung, Deutschland in Anlehnung an den „ganzheitlichen Ansatz des Green Deals der EU-Kommission” auf einen klaren, verlässlichen und planbaren Pfad zur Klimaneutralität zu bringen, der den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht wird. Ein ehrgeiziger Ausbau der Erneuerbaren Energien solle mit weiteren Maßnahmen im Gebäudesektor kombiniert werden, um gezielt die Voraussetzungen für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung deutlich vor 2038 zu schaffen. Die neue Bundesregierung müsse bei der Schaffung attraktiver und einfacher Rahmenbedingungen zur Umsetzung technologischer Lösungen mutig und entschlossen handeln und könne dabei auf die Unterstützung dieser breiten Unternehmensallianz bauen.
Unter den beteiligten Firmen sind Vertreter aus allen Branchen und Schlüsselindustrien, darunter Grundstoff- und Chemieindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau, Finanzbranche sowie große Unternehmen aus den Bereichen Gebäude, Mobilität und Handel. Sie stehen für einen globalen Umsatz von etwa einer Billion Euro.
Um Förderprogramme, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionssicherheit geht es auch in der am 7. Oktober 2021 unter „Aufbruch Klimaneutralität“ erschienene dena-Leitstudie (2). Seit 2000 koordiniert das bundeseigene Unternehmen Deutsche Energie Agentur (dena) Politik und Wirtschaft in Fragen der Energiewende. Die neue Studie aktualisiert die dena- Aussagen von 2018 und will der zukünftigen Bundesregierung eine „praxisorientierte Perspektive“ zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 liefern sowie eine neue Veränderungsdynamik anstoßen. DENA identifiziert dazu 84 Aufgaben in zehn Handlungsfeldern, die das „historische Klein-Klein“ der vergangenen Jahre überwinden und leistungsstarke klimaneutrale Märkte fördern sollen. (2)
Über 50 Wissenschaftler*innen aus dem Forschungsverbund Ariadne haben am 11. Oktober 2021 eine Szenarienanalyse veröffentlicht und leiten daraus acht Kerneinsichten zur Dekarbonisierung des Energiesystems, zur Elektrifizierung, zur Energieeffizienz, zur Kompensation der Treibhausgasemissionen oder zum Ressourcenverbrauch ab (3). Dem Ariadne-Projekt geht es dabei um Politikinstrumente und systemische Wechselwirkungen.
„Urgewald“ hat am 7. Oktober ein Update zur Global Coal Exit List veröffentlicht. (4) Darin heißt es, dass 49 Prozent der globalen Kohleindustrie sich immer noch auf Expansionskurs befinden. Seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 sei die weltweit installierte Kohlekraftwerkskapazität um 157 Gigawatt (GW) gestiegen. Das entspreche der aktuellen Kohlekraftwerksflotte von Deutschland, Russland, Japan und der Türkei zusammen. Bis zu 480 GW an neuer Kohlekraftwerkskapazität und neue Kohlebergbauprojekte mit über 1.800 Millionen Tonnen jährlicher Produktionskapazität seien in der Pipeline. Würden die dahinterstehenden Projekte tatsächlich realisiert, stiege die weltweit installierte Kohlekraftwerkskapazität um 23% und die Produktion von Kraftwerkskohle um 27% .
Urgewald weist darauf hin, dass der größte Teil der globalen Braunkohleverbrennung bis spätestens 2030 ganz eingestellt werden müsse, um die Ziele des Pariser Klimabbkommens noch zu erreichen.
Was das für den deutschen Beitrag beim Tagebau Garzweiler II bedeutet, zeigt unter anderem ein am 11. Juni 2021 veröffentlichtes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaft (5). Es stellt fest, dass für einen „pariskonformen“ Kohleausstiegspfad in den Tagebauen Hambach und Garzweiler noch maximal 200 Tonnen verstromt werden dürften. Dafür reiche der bereits vorhandene Vorrat von 230 Millionen Tonnen Braunkohle aus. Die Garzweiler-Dörfer einschließlich Lützerath müssten nicht zerstört werden. Seit dieser Studie gilt Erkelenz-Lützerath als die deutsche 1,5 Grad-Grenze.
Noch hat der Energiekonzern RWE nicht entschieden, wie lange er zu den 1.030 Kohlefirmen gehören will, die die Welt ins „Klimachaos“ treiben. Mit der Zerstörung von Lützerath könnte RWE Fakten schaffen, bevor die nächste Bundesregierung die nötigen Maßnahmen zur Erreichung der neuen Klimaziele beschlossen hat. Räumungs- und Abrissbilder befeuern nicht gerade die Aufbruchstimmung, die von einer Ampelkoalition ausgehen müsste.
Die Energiewirtschaft hänge ganz extrem von politischen Entscheidungen ab, unterstreicht RWE- CEO Markus Krebber im jüngsten „Chefgespräch“ mit der „WirtschaftsWoche“ (6).
Zwischen Berliner Klima-Appellen und dem niederrheinischen Bagger- und Enteignungsalltag liegen rund 600 Kilometer, aber „man könnte meinen, die beiden Orte trennten Welten. Das schrieb Michael Weiland (Greenpeace) (7).
Damit Krebber politische Ansagen erhält und auf ein Vollzugshilfeersuchen für Räumung, Abriss und Abholzung Lützerath zumindest vorerst verzichten kann, appellieren Greenpeace und rund 26.000 Unterzeichner*innen seit gestern an die Ampel-Verhandler*innen in Berlin, die NRW-Landesregierung zu einem „Lützerath-Moratorium“ aufzufordern (8).
Die Herausforderungen der industriellen Altlasten wie Artenschwund, Erderhitzung oder Ungerechtigkeit sind damit nicht gelöst. Aber beim Garzweiler-Unsinn innezuhalten wäre zumindest ein erster Schritt, um weitere Schäden zu vermeiden und den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu unterstützen. …Hier können Sie unterschreiben….
Anmerkungen
1. Stiftung 2 Grad. Eine Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität. Jetzt. [Online] 11. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://www.stiftung2grad.de/wp-content/uploads/2021/10/Stiftung2Grad_Unternehmensappell_DEU_A4_lay_03.pdf
2. Deutsche Energie-Agentur GmbH (Hrsg.). dena-Leitstudie - Aufbruch Klimaneutralität - Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. [Online] 7. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://www.dena.de/fileadmin/dena/Publikationen/PDFs/2021/Abschlussbericht_dena-Leitstudie_Aufbruch_Klimaneutralitaet.pdf
3. Ariadne-Projekt. Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045: Szenarien und Pfade im Modellvergleich. [Online] 11. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://ariadneprojekt.de/publikation/deutschland-auf-dem-weg-zur-klimaneutralitat-2045-szenarienreport/
4. urgewald . NGOs veröffentlichen Update der Global Coal Exit List: 1.000 Kohlefirmen treiben die Welt ins Klimachaos. [Online] 7. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://urgewald.org/medien/ngos-veroeffentlichen-update-global-coal-exit-list-1000-kohlefirmen-treiben-welt-ins
5. Rieve, Catharina; Herpich, Philipp; Brandes, Luna; Pao-Yu, Oe; Kemfert, Claudia; von Hirschhausen, Christian. DIW. Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. [Online] 11. Juni 2021. [Zuletzt abgerufen am: 10. September 2021.] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
6. Balzli, Beat. RWE-Chef Krebber: „Es wird eher eine schleichende Deindustrialisierung als Blackouts geben“. [Online] 8. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://www.wiwo.de/podcast/chefgespraech/podcast-chefgespraech-rwe-chef-krebber-es-wird-eher-eine-schleichende-deindustrialisierung-als-blackouts-geben/27683856.html
7. Greenpeace. Hier ist die 1,5-Grad-Grenze. [Online] 12. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 12. Oktober 2021.] https://www.greenpeace.de/themen/klimakrise/hier-ist-die-15-grad-grenze
8. Greenpeace: 1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt! Abriss-Moratorium jetzt! [Online] 12. Oktober 2021. [Zuletzt abgerufen am: 13. Oktober 2021.] https://act.greenpeace.de/lutzerath-bleibt?
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