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24.07.2025
Wegweisendes IGH-Klimagutachten: Umwelt- und Klimaschutz als völkerrechtliche Norm und Menschenrecht
Der Klimawandel untergräbt die Grundlagen der Menschenrechte und der Gerechtigkeit. Das Völkerrecht ist ein verbindliches Instrument, um den Zusammenbruch menschlicher Systeme und Gesellschaften zu verhindern. Es gibt ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt. Staaten können zum Schadensersatz verpflichtet werden, wenn sie sich nicht an die Klimaschutzabkommen halten…
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist seit 80 Jahren das Hauptrechtssprechungsorgan der Vereinten Nationen und hat seinen Sitz in Den Haag. Seine Gutachten sind rechtlich nicht bindend. Aber sie haben einen hohen völkerrechtlichen und politischen Stellenwert. Sie gelten als maßgebliche Interpretationen völkerrechtlicher Normen. Die Argumentationslinien des Gutachtens „zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen durch einen Staat” vom 8. Juli 1996 bestimmen in ihrer Ambivalenz bis heute die rechtliche und politische Debatte zum Spannungsverhältnis von Selbstverteidigung und humanitärem Völkerrecht. (1)
Ähnliche Auswirkungen könnte das am 23. Juli 2025 veröffentlichte rund 130 Seiten umfassende Gutachten zu den Verpflichtungen der Staaten im Hinblick auf den Klimawandel haben. (2) (3) (4).
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte es 29. März 2023 mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution in Auftrag gegeben. (5) Die Initiative ging im März 2020 vom südpazifischen Inselstaat Vanuatu aus. Das wenig entwickelte Land ist kaum für den Klimawandel verantwortlich, aber stark von dessen Folgen betroffen.
Dennoch zeigte sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete und „Grenzlandgrün-Referent“ Dr. Hermann Ott – 2020 als Leiter der Umweltrechtsorganisation „Client Earth“ - skeptisch: „Das größte Hindernis liegt darin, dass sich bisher kein Staat getraut hat, etwas zu machen, weil sie Angst haben vor Strafmaßnahmen der wirtschaftlich starken Staaten, dass sie keine Entwicklungshilfen mehr bekommen und dass die wirtschaftlichen Beziehungen eingefroren werden. Diese Befürchtung ist nicht ganz unbegründet und hat leider eben dazu geführt, dass es noch keinen Fall vor dem Internationalen Gerichtshof gibt.“ (6)
Doch die Studierendenorganisation Pacific Islands Students fighting Climate Change (PISFCC) sammelte in Zusammenarbeit mit World Youth for Climate Justice (WYCJ) und dem Future Generations Tribunal (FGT) weltweit Unterstützer für das Vanuatu-Vorhaben. (7) Sie hatten Erfolg, und der IGH erhielt einen „Fall.“ Er hat ihn begutachtet und das wird sich auf das internationale Umwelt- und Klimarecht auswirken.
Denn der IGH macht deutlich, dass die Staaten des Pariser Klimaabkommens, sich verpflichtet haben, bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Führungsrolle zu übernehmen, indem sie ihre Treibhausgasemissionen begrenzen und ihre Treibhausgassenken und -speicher verbessern. Die Staaten sind daher völkerrechtlich verpflichtet, „durch gebührende Sorgfalt erhebliche Schäden an der Umwelt zu verhindern und alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um zu verhindern, dass in ihrem Hoheitsgebiet oder unter ihrer Kontrolle durchgeführte Tätigkeiten dem Klimasystem und anderen Teilen der Umwelt erheblichen Schaden zufügen.“ (4)
Staaten müssen die Menschenrechte achten und ihre wirksame Wahrnehmung gewährleisten, indem sie die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems und anderer Teile der Umwelt ergreifen.
Das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems vor Treibhausgasemissionen zu ergreifen beispielsweise durch die Produktion und den Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Brennstoffe oder die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe – kann ein völkerrechtswidriges Handeln darstellen, das diesem Staat zuzurechnen ist. (4)
Staaten können daher zum Schadensersatz verpflichtet werden, wenn sie sich nicht an die Klimaschutzabkommen halten.
Die Verpflichtungen aus den Klimaabkommen seien Verpflichtungen “erga omnes partes” – gegenüber allen Vertragsstaaten. Das bedeutet, dass alle Vertragsstaaten die anderen für die Nichterfüllung ihrer Pflichten zur Verantwortung ziehen können. “Besonders bedeutsam ist, dass dadurch die Möglichkeit geschaffen wird, die rechtlichen Folgen der internationalen Staatenverantwortlichkeit auszulösen. Dies stärkt die zwischenstaatliche Rechtsdurchsetzung im Klimaschutz erheblich und unterstreicht, dass klimaschädigendes Verhalten – und Unterlassen – nicht ohne rechtliche Konsequenzen bleiben soll”, ordnet die Völkerrechtsprofessorin Patricia Wiater von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gegenüber LTO ein. (3)
Auch Jule Schnakenberg, die Exekutivdirektorin der Initiative “World’s Youth For Climate Justice”, die federführend am Verfahren mitgearbeitet hat, begrüßt das Gutachten: “Die Übereinstimmung zwischen verschiedenen internationalen Gerichten zeigt ein einheitliches Verständnis, dass die Klimakrise grundlegende Menschenrechte bedroht. Dieser Konsens stärkt die Grundlage für ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen und gibt den Regierungen ein starkes Mandat, die Menschenrechte vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.” (3)
Das Gutachten erkennt das Recht auf eine “saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt” als Menschenrecht an. Ähnlich hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte argumentiert, als er am 9. April 2024 die Schweiz verurteilte, weil sie wegen unzureichenden Klimaschutzes die Menschenrechte der Klimaseniorinnen verletzt habe. (8)
Auch wenn das Gutachten selbst völkerrechtlich nicht bindend ist, bietet es eine Argumentationsgrundlage für die Politik und für weitere Verfahren zum Umwelt- und Klimarecht. Das höchste Gericht der Welt hat am 23. Juli 2025 die umweltpolitischen Dimension der regelbasierten Weltordnung gestärkt..
Gerichtspräsident Yuji Iwasawa betonte: „Die von der Generalversammlung aufgeworfenen Fragen betreffen ein existenzielles Problem, das alle Formen des Lebens und die Gesundheit unseres Planeten bedroht. Das Völkerrecht, auf dessen Autorität sich die Generalversammlung berufen hat, spielt bei der Lösung dieses Problems eine wichtige, aber letztlich begrenzte Rolle.” (3)
Eine ebensolche Rolle spielt Bundeskanzler Friedrich Merz. Statt seine globale Verantwortung beim Klimaschutz deutlich zu machen, duckte er sich und Deutschland am 9. Juli 2025 im Deutschen Bundestag völkerrechtlich weg: “Deutschland hat ungefähr 1 Prozent der Weltbevölkerung. Wir stellen ungefähr 2 Prozent des Problems dar, was CO2- Emissionen betrifft. Selbst wenn wir alle zusammen morgen in Deutschland klimaneutral wären, würde keine einzige Naturkatastrophe auf dieser Welt weniger geschehen, würde kein einziger Waldbrand weniger geschehen, würde keine einzige Überschwemmung in Texas weniger geschehen.”
Die Regierungen, Unternehmen und Verwaltungen können das wegweisende IGH-Gutachten nicht ignorieren und sich weiter wegducken. Sie sollten es stattdessen im November 2025 als Leitfaden für die Agenda der Weltklimakonferenz COP 30 im brasilianischen Belém nutzen…
Verweise
1. Internationaler Gerichtshof. Rechtmäßigkeit der Androhung oder des Einsatzes von Atomwaffen. [Online] [Zitat vom: 24. Juli 2025.] https://www.icj-cij.org/case/95
2. International Court of justice. Obligations of states in respect of climate change. [Online] 23. Juli 2025. https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/187/187-20250723-adv-01-00-en.pdf
3. Kring, Franziska. Das Völkerecht verpfichtet zum Kliachutz. Legal Tribune Online. [Online] 23. Juli 2025. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/igh-gutachten-klimawandel-voelkerrecht-verpflichtet-zum-klimaschutz
4. International Court of justice. Obligations of States in respect of Climate Change. The Court gives its Advisory Opinion and responds to the questions. [Online] 23. Juli 2025 https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/187/187-20250723-pre-01-00-en.pdf
5. United Nations. Request for an advisory opinion of the International Court of Justice on the obligations of States in respect of climate change [Online] 29. März 2023. https://docs.un.org/en/A/RES/77/276
6. Esswein, Ann; Zernack, Felie Moucir. Inselstaat Vanuatu will Industrieländer in die Pflicht nehmen. Deutschlandfunk. [Online] 15. März 2020. https://www.deutschlandfunk.de/der-suedpazifik-und-der-klimawandel-inselstaat-vanuatu-will-100.html
7. People’s petition. A collective climate justice call for the ICJ. [Online] https://static1.squarespace.com/static/6090cc1eec59dc2ed057b027/t/67907a7d4135cf7a4c1fb2a7/1737521808020/People%27s%2BPetition.pdf
8. European court of Human Rights. Case of Verein Klimaseniorinnen Schweiz and others. [Online] 9. April 2024. https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-233206
Grenzlandgruen - 11:31 @ Allgemein, Umwelt und Gesundheit | Kommentar hinzufügen
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