niederrheinisch - nachhaltig 

Freitag, 27. April 2018

Es liegt was in der Luft... 

Trotz Ammoniak, Stickoxid und alledem: Es war wohl eher ein „Teil der Lösung“, dass mehr als ein halbes Dutzend älterer Männer am ersten „lauen Sommerabend“ des Jahres  mit dem Fahrrad aus Willich, Grefrath oder Kempen nach Vorst gekommen waren. Im ländlichen „Mittendrin“ beschäftigten sie und rund ein Dutzend  Auto fahrender Menschen sich mit dem „Atmen im Grenzland“ und der Frage „Wie gesund ist unsere Luft?“ Hätte die VHS-Grenzlandgrün-Veranstaltung in Düsseldorf oder Köln stattgefunden, hätten die Männer bei manchen Anreisewegen  besser aufs Fahrrad verzichten sollen, denn nicht überall ist frische Luft gesund.  

„Zwischen den Welten“ atmen

In geschlossenen Räumen verliert die Luft schnell an lebensnotwendigem Sauerstoff. Durchs lange Sitzen am Schreibtisch oder im Sessel atmet man flach und oberflächlich. Die Folgen sind Müdigkeit und Konzentrationsmangel. Schon ein paar bewusste und tiefe Atemzüge können für mehr Energie und bessere Stimmung sorgen. Das machte Atemtherapeut Dirk Voss in seinem von praktischen Atemübungen begleiteten Vortrag deutlich. Auch wenn’s eng wird im Leben, wenn einen etwas bedrückt oder auf der Seele liegt, wird der Atem flacher.  Schockierende oder traumatische Erlebnisse können den Atem stocken lassen. Atemfluss und Lebensstimmung stehen in engem Zusammenhang.  In seinen Gruppen zeigt Voss, wie sich die energetische Situation eines Menschen durch den „verbundenen Atem“ verbessern kann. Mit ihm könne man in seinem Leben fast „alles unter Kontrolle halten“. Auch wenn Voss nicht alle „Grenzlandgrünen“ davon überzeugen konnte, dass selbst Bochumer Ruß und Rauchen weniger schädlich seien als Flachatmung, teilten sie sein Fazit „Lasst Euch nicht kirre machen.“

Atmung ist eine Organfunktion, die gleichermaßen willentlich wie unbewusst verläuft. Daher eignet sie sich nun einmal dafür, nicht nur in Analogien „zwischen den Welten“ zu vermitteln: Sauerstoff und Lebensenergie, Lippenbremse und Pranayama, Bronchien und Bäume, Geburt und Tod, Zellatmung und Photosynthese, Mundgeruch und Gotteserfahrungen – alles hat mit Luft zu tun.

80 – 120 m² Lungenbläschen sauber halten

Und jeder Erwachsene hat die Aufgabe, seine 80 – 120 Quadratmeter sauber zu halten. So groß ist die Oberfläche der menschlichen Lungenbläschen (Alveolen)  – das 50 – fache der Körperoberfläche, wie der Internist und Hausarzt  Dr. Ralph Thoms herausstellte. Denn sie sorgen für den lebensnotwendigen Gasaustausch. Über die Kapillaren nehmen die Lungenbläschen Sauerstoff auf geben Kohlenstoffdioxid ab. Hier besteht Gelegenheit,  biologisches Schulwissen aufzufrischen oder nachzuholen.

Dr. Thoms wies darauf hin, dass bereits frühe Zivilisationen wie die Römer einen Zusammenhang von schlechter Luft und Krankheit erkannten.  Schon 1775 habe der englische Arzt Percival Pott Ruß als Auslöser für Schornsteinfegerkrebs erkannt. Luftschadstoffe begleiten unser Leben: Feinstaub und Ruß beim Rauchen, Stickoxide, Ruß und Feinstaub beim Autofahren, Stickoxide, Feinstaub und Schwefeldioxid in der Schifffahrt, Lachgas, Methan, Ammoniak, Ozon in der Landwirtschaft. Wie sich unterschiedliche Emissionsquellen auf die Sterberaten auswirken, hat ein Team des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie untersucht und dabei Überraschendes zu Tage gefördert. Mit ihrer global angelegten Studie lenkten sie die Aufmerksamkeit auf die Rolle der häuslichen Kleinfeuer und der Landwirtschaft. 

Feinstaub und das unterschätzte NH3

Ammoniak (NH3), das durch die übermäßige Verwendung von Düngemitteln und die Massentierhaltung in die Atmosphäre gelangt, wandelt sich über verschiedene Reaktionen in Ammoniumsulfat und Nitrat um. Diese Stoffe tragen maßgeblich zur Bildung von Feinstaubpartikeln bei, die die Atemwege schädigen, krebserregende Stoffe mit sich tragen, Pollen binden und damit allergisch asthmatische Reaktionen auslösen.  Die Landwirtschaft gelte global gesehen als Ursache von einem Fünftel aller Todesfälle durch Luftverschmutzung.  In Deutschland liege der Anteil sogar bei rund 45 Prozent. Aus den nationalen Trendtabellen für die Berichterstattung atmosphärischer Emissionen, die das Umweltbundesamt heraus gibt, geht hervor, dass Ammoniak der einzige Luftschadstoff sei, der in den letzten 10 Jahren eine leicht steigende Tendenz verzeichnet. Ammoniak gelte aber auch als Teil der Lösung. Darauf weist ein Chemiker aus dem Grenzlandgrün-Publikum hin. Im SCR-Verfahren werde aus Harnstoff und Wasser Ammoniak erzeugt, um die Stickoxid-Abgase zu reinigen.  

  

Neben Ammoniak gilt auch Stickstoffdioxid als Vorläufer für Feinstaub. Stickstoffdioxide entstehen zu über 40% aus dem Verkehr. Besonders in verkehrsreichen Innenstädten kann der Verursacheranteil auf bis zu 80% ansteigen. Diesel-Autos stoßen am meisten Stickstoffdioxid aus. Dass die Gesundheitsbelastung durch Stickstoffdioxid erheblich ist, haben das Münchner Helmholtz –Zentrum und die IVU-Umwelt GmbH  im März 2018 in ihrer im Auftrag des Umweltbundesamts erstellten Studie zu den „NO2-Krankheitslasten“  nachgewiesen. Besonders gefährdet sind Kinder und Kranke mit wenig Widerstandskraft.

Geschätzt werden 41.000 vorzeitige Todesfälle  jährlich, die in Deutschland durch Feinstaub  verursacht werden. Dr. Thoms: „Das ist ein aus epidemiologischen Studien errechneter Wert, der wissenschaftlich nicht unumstritten ist. Kein Arzt deklariert „Feinstaub“ als Todesursache.“ Zudem könne man auch kaum nachweisen, woher er komme.  Kerzen, Weihrauch, Kaminfeuer und Zigaretten können häusliche Quellen sein. Am Arbeitsplatz kommen noch viele andere Quellen für den toxischen Feinstaub dazu.

Feinstaub entsteht vor allem bei Verbrennungsprozessen in Kraftfahrzeugen, Kraftwerken und Kleinfeuerungsanlagen, in der Metall- und Stahlerzeugung, durch Bodenerosion und aus Vorläufersubstanzen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden und Ammoniak. Der Feinstaub ist ein Kohlenstoffkern, an den sich Schadstoffe anlagern können: ­Sulfate, Nitrite, Gase, Metalle, Pollen, ­Bakterien. Feinstaub besteht zu einem Teil aus Verbrennungsprodukten wie Kfz-Emissionen sowie aus Industrie und privaten Haushalten. Der andere Teil ist aufgewirbelter Staub, Reifen- oder Bremsabrieb. Wissenschaftlich zu untersuchen ist noch, wie sich die Stoffe gegenseitig verstärken und wie sich Gemische auf die Gesundheit auswirken. Wir wissen zum Beispiel, dass Pollen plus Feinstaub bei Asthmapatienten mehr Beschwerden verursachen als Pollen allein. Auch Ozon und Feinstaub haben eine Wechselwirkung, die bei empfindlichen Personen stärkere ­Reaktionen hervorrufen kann.

„Aber“ – so Dr. Thoms -  „Tabak ist nach wie vor der gefährlichste Feinstaubproduzent in Innenräumen und für 100.000 Tote im Jahr verantwortlich“. Daher gelte „Liebe ist, jemandem zu helfen das Rauchen aufzugeben.“     

Je größer der Staub ist, desto weniger gelangt er  in die Lunge. Dies ist den Flimmerhärchen in den Bronchien zu verdanken. Dr. Thoms: „Wie auf einer Rolltreppe transportieren sie den Dreck nach oben. Beim Rauchen steht die Rolltreppe still.“

Allerdings gelte auch der Umkehrschluss: Je feiner der Staub, desto gefährlicher ist er für den Menschen. „Doch für den Ultrafeinstaub gibt es bisher keine Verordnungen oder Grenzwerte, auch nicht in Hinblick auf den Flugverkehr.“ Dies betont Michael Stoffels. Er ist leidenschaftlicher Ruderer und Radpendler. Als Dezernent ist er bei der Bezirksregierung Düsseldorf zuständig für die Luftreinhalteplanung. Dabei geht es um die Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften und politischen Vorgaben. 

Richt- und Leitlinien, Alarmschwellen und Berichtspflichten

Stoffels' Arbeitsgrundlage ist die europäische Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa. Sie wurde 2010 mit der 39. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes in deutsches Recht überführt. Darin werden Mess- und Kontrollverfahren, Grenz- und Zielwerte, Alarmschwellen und Berichtspflichten festgelegt. Nähere Erläuterungen zur Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinie sind  hier zu finden.

Basis für die europäische Luftqualitätsrichtlinie waren die 2005 veröffentlichten Luftgüteleitlinien der Weltgesundheitsorganisation. Sie dienen bis heute den politischen Entscheidungsträgern als Orientierungshilfe bei der Prüfung von möglichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Über das World Air Quality Team oder den European Air Quality Index kann man interaktiv die weltweiten bzw. europäischen  Luftqualitätsdaten für jede Messstation abrufen. Die aktuellen nordrhein-westfälischen Messwerte für Ozon, Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Feinstaub sind hier abrufbar. Die dort aufgeführten Werte werden aus den kontinuierlich arbeitenden Messcontainern des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) gewonnen. 

Moderator Manfred Böttcher erinnerte zu Beginn des Grenzlandgrün-Abends an die Londoner Smog-Katastrophe von 1952  mit Tausenden realen Toten und an den vor 45 Jahren ausgestrahlten Fernsehfilm „SMOG“ von Wolfgang Menge und Wolfgang Petersen mit einigen fiktiven Toten. Bei beiden ging es um erhöhte Schwefeldioxid-Konzentration und Inversionswetterlagen. Heute spiele Schwefeldioxid in der Luftreinhaltungspolitik – so Stoffels - „keine  große Rolle mehr“. 

Die Diskussionen um Waldsterben und sauren Regen haben im Immissionsschutz  Wirkung gezeigt. Schwefelfreie Kraftstoffe oder die Rauchgasentschwefelung haben die Schwefeldioxid-Emissionen stark reduziert. Problematisch sei allerdings immer noch der internationale Schiffsverkehr. Er leiste von allen Verkehrsträgern den höchsten Emmissionsbeitrag. Seine Auswirkungen seien selbst in den innerstädtischen Umweltzonen nachweisbar. Dies gilt auch für das derzeit intensiv diskutierte Stickstoffdioxid. Die Abgasbelastung der Binnenschifffahrt sei selbst in den innerstädtischen Umweltzonen vor allem der Städte am Rhein nachweisbar, auch wenn sie sich entlang des Flusses weit verteile und verdünne. An einem Düsseldorfer Messstandort beträgt der „Schiffsanteil“ 7%, aus der Industrie kommen 2%, Haus- und Kleinfeuerungsanlagen tragen mit 4% zur Immission von Stickstoffdioxid bei. Die größte Stickstoffdioxid-Menge entsteht mit einem Anteil von 40% aus dem PKW-Verkehr. Obwohl der Anteil der Dieselfahrzeuge nur 47% betrage, verursachen die Diesel-PKW rund 80% der Stickoxid-Emissionen.  Nach dem „Abgasbetrug“ der Autoindustrie wurde deutlich: Die Belastung ist sogar viel höher als gedacht. Das meldete das Umweltbundesamt im April 2017. Daher verwundert es nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem viel diskutierten Urteil vom 27. Februar 2018 die erstinstanzlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der dortigen Luftreinhaltepläne bestätigte. Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sind beschränkte kommunale Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge nicht ausgeschlossen. Offenbar kann in manchen Kommunen an bestimmten Straßen der zulässige Jahresmittelwert von 40µg/m³ Stickstoffdioxid anders nicht eingehalten werden. Dies trifft  auch für Köln und Düsseldorf zu. Messungen zur Stickstoffdioxid-Belastung an der Karl-Marx-Straße in Berlin haben allerdings ergeben, dass hinter den Häusern die Luft weitaus weniger belastet ist als direkt am Rand der stark befahrenen Straße.  

Fahrverbot in Innenstädten: Was im Film „SMOG“ in Zeiten von ölkrisenbedingten Sonntagsfahrverboten noch so leicht aussah, ist heute ein Poltikum. Stoffels rechnet daher damit, dass ein rechtlich tragbarer Luftreinhalteplan für Düsseldorf auch ohne Dieselfahrverbot möglich ist. Aber die 2015 von der EU-Kommission eingeleiteten EU-Vertragsverletzungsverfahren zur Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinie betreffen auch die Bundesrepublik und sind noch nicht abgeschlossen. Auch die Deutsche Umwelthilfe wird die Umsetzung der Richtlinie genau beobachten und rechtlich gegen unzureichende Luftreinhaltepläne vorgehen.

Michael Stoffels zieht eine positive Quintessenz: „Die EU-Luftqualitätsrichtlinie und ihre Vorgänger  haben dazu beigetragen, die Belastung der Luft für zahlreiche Parameter wie Stickstoffdioxid, Feinstaub,Schwefeldioxid, Ozon und Benzol gravierend zu verringern.Die Schadstofffrachten aus Industrie, Hausbrand und Verkehr  - die Emissionen - sind stark zurückgegangen. Dies gilt auch für die Immissionen, also dass, was bei den Menschen ankommt. Allerdings werden vor allem beim giftigen Stickstoffdioxid in einigen Städten auch unserer Region die Grenzwerte noch überschritten.“ Die bisherige Luftreinhaltepolitik bezeichnet Stoffels als „Erfolgsstory“.  „Wir haben vieles geschafft, aber wir tun noch nicht genug.“ Weitere europäische Reduktionsverpflichtungen für Luftschadstoffe werden mit der 43. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes beschlossen. 

Was tun?

Feinstaubplaketten, Großfeueranlagenverordnung & Co. - So umstritten die umweltpolitischen Neuregelungen bei der Einführung waren, so positiv haben sie sich ausgewirkt. Und manche Widerstände der Autoindustrie  gegen schwefelfreies Benzin oder den Katalysator haben sich im Nachhinein als lächerlich erwiesen. Die heutige "Ehe" zwischen Mainstreampoltik und Autoindustrie, die  verbrecherischen Betrug zur kleinen Schummelei verniedlicht, wird sich eines Tages womöglich als  ähnlicher Irrweg erweisen wie die fast vergessenen Diskussionen um Motorschäden und Bodenbleche. Die Luftverschmutzung kümmert sich nicht um den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Aber nicht nur Politik und Verwaltung, auch der Einzelne kann viel zur Lufthygiene beitragen, wie im Laufe des Grenzlandgrün-Abends deutlich wurde: Rauchen beenden, Fahrrad statt Auto fahren, kleinere Strecken zu Fuß zurücklegen, den ÖPNV nutzen, den Fleischkonsum einschränken oder beenden,  Kaminfeuer oder das Verbrennen von Holz und Laub im Garten vermeiden, auf saubere Heizungsanlagen und gute Wärmedämmung achten, Energie einsparen, erneuerbare Energien nutzen... Verdirb nicht selbst die gute Luft, welche du einatmen kannst (Sebastian Kneipp). Aber sich dabei nicht kirre machen lassen:  „Es genügt nicht zu denken, man muss atmen. Gefährlich die Denker, die nicht genug geatmet haben.“ (Elias Canetti)

    

E-Mail
Infos
Instagram